Wilde und Wiener Klänge im Konzerthaus

Nach einem Tag voll starkem Sturm hingen auf der Bühne des Wiener Konzerthaus gleich drei Donnerbleche, die das wilde Wetter „nachahmten“. Und es waren nicht die einzigen Klangeffekte, die einer beeindruckenden Orchester-Komposition an diesem Abend ihren Stempel aufdrückten: Die Wiener Symphoniker brachten unter ihrem Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada den Liedzyklus „Jittering Directions“ von Johannes Maria Staud zur Uraufführung. Der österreichische Komponist hatte sich während der Lockdowns Gedichte des Lyrikers William Carlos Williams vorgenommen und für Orchester und Sopran vertont. Experimentell, expressiv und rhythmisch fordernd verlangen die Stücke hohe Flexibilität. Und das sogar vorab: Die Sängerin Yeree Suh musste für Andrea Carroll einspringen und war mit Leib, Seele und toller Stimme am Werk. Hut ab!

Im zweiten Teil des Konzerts durften die Symphoniker zu Richard Strauss‘ Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ wieder ihren legendären Wiener Klang auspacken. Hauptact: der wie immer höchst sympathische wie makellose Konzertmeister Dalibor Karvay. Tipp: Am Sonntag gibt es in der Matinee um 11:00 Uhr noch einmal die Gelegenheit, diese Werke zu erleben!   

Die Wiener Symphoniker begeisterten einen – dieser Tage nicht üblich – nahezu vollen Konzertsaal!

Tizians Frauen in der Zielgeraden

Bis 1500 wurden Frauen nur in biblischen Szenen gemalt: Sünderin Eva oder die göttliche Maria. Ab dann ging es aber zur Sache, zumindest in Venedig. Die schöne junge Frau wurde von Tizian, dem Superstar der Renaissance, und seinen Zeitgenossen erotisch porträtiert. Von Männern für Männer. Eine entblößte Brust war etwa das visuelle Zeichen, dass eine Frau offenen Herzens in die Ehe eintritt.

Die Sonderausstellung „Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie“  im Kunsthistorischen Museum Wien wurde von Beginn an kontrovers diskutiert. Zu konservativ? Zu wenig Hintergrund? Doch feministisch? Noch eine Woche gibt es Gelegenheiten, sich selbst ein Bild zu machen, bevor sie in den Palazzo Reale in Mailand übersiedelt: Online-Führungen, Venezianische Abende bei Antipasti und Aperitivo oder das Grande Finale Veneziano am letzten Tag.

Liebespoesie und Literatur inspirierten. Allen voran Francesco Petrarca, dessen Angebetete Laura DIE literarische Figur war damals. Ihre Haare sollen so anziehend gewesen sein. Auch die Dame am Sujetbild parfümiert sich ihre Haare.
Viele Werke sind hochkarätige Leihgaben – ob aus St. Petersburg, der Villa Borghese in Rom, oder wie dieses aus dem Dogenpalast in Venedig selbst.

Mit den Symphonikern zum Wiener Kongress

Zu politisch, zu anlassbezogen? Ludwig van Beethovens Kantate „Der glorreiche Augenblick“, die er für die Eröffnung des Wiener Kongress 1814 komponiert hat, wird selten aufgeführt. Im Wiener Konzerthaus bislang überhaupt nur vier Mal. Umso besonderer, sie ebendort mit der Wiener Singakademie, der Opernschule der Staatsoper und den Wiener Symphonikern zu erleben. „Alle die Herrscher darf ich grüßen, alle die Völker freundlich küssen!“, singt Vienna.

Für das zweite historische Stück gibt es einen Tipp von Dirigent Andrés Orozco-Estrada: „Was jetzt kommt, kennen Sie so nicht. Genießen Sie es – auch wenn Sie nicht viel verstehen!“ Und dann drehen die Symphoniker für Wellingtons Sieg den Surround-Sound auf: Mit Kriegsgetrommel, Kanonenschüssen und Trompeten-Fanfaren vom Konzerthaus-Flur aus und dem Orchester auf der Bühne fühlt man sich wie mitten im Gefecht. Beethoven hat dieses „sinfonische Schlachtengemälde“ zur Schlacht von Vittoria komponiert. Mit der Hymne „God Save the King“ macht er deutlich, dass hier die Briten gegen die Franzosen gewinnen.

Im zweiten Konzertteil legen die Symphoniker noch die siebente Symphonie drauf. Plattenreif – vor allem der filigrane zweite Teil!    

Fazit: Eine aufregende Zeitreise voll wunderschöner Musik! Es gibt noch Gelegenheiten, das Konzert Beethoven-Akademie: Der Kongress tanzt zu hören: live am 10. Jänner um 19:30 Uhr im Konzerthaus und als Mitschnitt in Ö1 am 29. Jänner.

Kinderchor, Chor, Orchester und Solisten: Dank 2G+-Regel ist so ein Spektakel möglich!

Bunte Ballett-Show in der Oper

Ballett in der ehrwürdigen Wiener Staatsoper: Wer denkt da nicht an Nussknacker oder Schwanensee… Doch Slapstick? Modern Dance? Stop Motion? Mit „A Suite of Dances“ zeigte der amerikanische Choreograph Jerome Robbins, was Ballett alles kann. Etwa ohne Bühnenbild eine Stadt erschaffen oder die gesamte Oper zum herzhaften Lachen bringen.

Besonders die „Unterhaltung“ zwischen Cellistin und Solotänzer zu Bach und die mit Spannung geladene Choreo Glass Pieces zu Trommelmusik gingen unter die Haut. Überhaupt nahmen sich die einzelnen Nummern den Luxus heraus, im Orchestergraben die Wiener Philharmoniker sitzen zu haben, häufig aber Soloinstrumente wie Klavier, Geige oder eben Cello direkt auf der Bühne ins Rampenlicht zu holen. Erst am Ende durfte das Opernorchester seine gewohnte Pracht beweisen. Überraschungen, Emotionen, Wow-Effekte: Auch der „Nachwuchs“, die vielen Mädchen in Ballettschuhen im Publikum, waren von diesem kurzweiligen Abend schwer beeindruckt.

Die tanzenden Schmetterlinge versucht der Pianist am Ende mit dem Kescher einzufangen.

Strahlende Streicher im Reaktor

Es ist dunkel, ruhig und fast ein bisschen unheimlich: Wer abends die Geblergasse in Wien-Hernals entlangspaziert, würde nie vermuten, dass hinter einer dieser unscheinbaren Mauern mit Geigen, Celli und Klavier gerade ein klassisches Konzert erklingt. Der REAKTOR bietet dem Alban Berg Ensemble immer wieder einen einzigartigen Rahmen für Streichkonzerte. Wie diese Woche das „Bergfest“: ein Festival, drei Konzerte, je vier Stücke von Brahms bis Berg, von Schubert bis Schönberg. Das Highlight am Freitagabend mit Nocturnes und anderen Werken rund um das Thema Nacht: Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“. Vergesst Netfilx und Co., nach einer langen Woche gibt es nichts Schöneres zum Entspannen als Klavier und Cello! Beim Zurückgehen ist die Geblergasse viel heller.     

Puristisch-leer und doch pompös-feierlich, Betonlook-kalt und doch Streicherklang-warm: Der REAKTOR hat eine ganz besondere Atmosphäre.

Schreiner feiert wie sonst keiner

Wenn Clemens Maria Schreiner eine Party schmeißt, spielt die alle Stückl – inklusive der „drei Fs einer jeden ruralen Disney-Hochzeit: Feuerwerk, Fassbier, Fotobox“. Mit seinem neuen Programm „Krisenfest“ feierte er diese Woche im besten Sinne des Wortes Wien-Premiere im Kabarett Niedermair. Mit speziellen (nämlich virtuellen) Gästen ist es auf seiner Party besonders lustig, darunter Poppi, die sich mit jedem gut verträgt außer mit Alkohol, und Axel, der Fitness-Influencer mit asterixesker vertikaler Ausdehnung.

Beim Karaoke kommt Schreiner mitunter der unolympische Gedanke: „Da nicht dabei sein wär alles“, aber richtig in Rage kommt er beim Gruppentanzwahnsinn: „YMCA spielts heute sicher nicht! Das ist auf der schwarzen Liste! Gemeinsam mit E Macarena und dem Ketchup Song! Partymusik, die gleichgeschaltete Tanzbewegungen fördert, die Perversion eines körperlichen Ausdrucks, die dem kranken Hirn eines am Leben gescheiterten Choreographen entsprungen ist und die durch die unmenschliche Maschinerie der Sommerhits, die das Gedächtnis ganzer Generationen wehrloser Tänzer…“ Da ginge es noch ein paar Geistesergüsse weiter. Für ein Kabarettprogramm super, für einen Blog einfach zu lang.

Wodka Ribisel war das In-Getränk der Party. Schreiner begoss damit sein erstes Krisenfest in Wien.

Aufregen kann Schreiner auch, dass wir uns leicht aufregen lassen. „Irgendwer läutet genüsslich das Glockerl der Kontroverse und schon speicheln wir ein. Politiker haben ihre Glockerl – ganz fein auf die jeweilige Zielgruppe gestimmt. Medien haben ein ganzes Glockenspiel – damit alle gleichzeitig safteln. Und der rechte Populismus hängt sowieso 24/7 an der Pummerin.“ Optimist Schreiner titelt: „Millionen von Österreichern hatten heuer im Sommer keine Schlange am WC!“

Zum Tränenlachen ist auch der eigene Theologie-auf-Lehramt-Humor, das Optimismus-Gedankenexperiment auf dem Markusplatz in Venedig und wer ein Mitbringsel für Schreiners nächste Party braucht: Chutney!

Eines hat dem Abend aber definitiv gefehlt: Beim fast begeisterten Macarenatanzen lässt Schreiner in jeder Richtung den Move „Hände auf den Hinterkopf“ aus. Das tut sogar eingefleischten Gruppentanzverweigerern etwas weh. Na vielleicht bei den nächsten Krisenfesten: Im Oktober und Dezember jeden Mittwoch im Niedermair! Große Empfehlung!!

Mahler mit Hüftschwung

Gustav Mahlers dritte Sinfonie ist nichts für schwache Nerven. Nicht nur für die Orchestermusiker gibt es kaum Zeit zum Ausruhen, auch als Zuhörerin ist man ständig gefordert. Nie darf man sich einer Klangwelt sicher sein. Innerhalb weniger Takte ist man vom Vogelgezwitscher bei der Marschkapelle, vom filigranen Oboen-Solo beim epischen Filmsoundtrack angelangt. Erkennt man gerade ein Motiv in den Holzbläsern wieder, grätschen die Streicher wild hinein. Grandios!  

Die Wiener Symphoniker begeisterten mit diesem Meisterwerk der Spätromantik gestern am zweiten Abend in Folge das Konzerthaus-Publikum im Großen Saal. Dem Orchesterklang (besonders die Blechbläser kommen bei Mahler ordentlich dran und liefern auf Weltklasseniveau ab), den Soli (unglaublich, dass eine Posaune so klingen kann) und der Chor-Kombi (die Wiener Sängerknaben und die Damen der Wiener Singakademie strahlen glockenhell) stahl aber beinahe jemand anderer die Show: Dirigent Andrés Orozco-Estrada. Man würde jedes Detail der Musik hören, sähe man nur ihm alleine zu. Besonders im tänzerischen zweiten Teil wollte man am liebsten mittanzen: ein Hüftschwung zum Niederknien.

Kleines Detail für die Geschichtsbücher: Da es der erste Tag war, an dem nur geimpfte und genesene Gäste zugelassen waren (2G-Regel), durfte man erstmals seit Pandemiebeginn ohne Maske im Saal sitzen: das i-Tüpfelchen auf diesem Konzertgenuss!

Großartig gespielt: Diese 2G gelten im Großen Saal immer.

Ganymed: Die Macht ist stark im KHM

Die Premiere ging sich 2020 kurz vor Corona noch aus. Eineinhalb Jahre musste „Ganymed in Power“ dann aber warten, bis es diese Woche endlich zur Wiederaufnahme der 7. Auflage des beeindruckenden Kunstformats kam. Autorinnen und Komponisten waren wieder angehalten, die Alten Meister im Kunsthistorischen Museum Wien neu zu interpretieren – nach Natur und Liebe war das Thema diesmal Macht. Egal, bei welchem der zwölf Acts man seinen Klapphocker an diesem Abend aufstellt, man erlebt die Gemälde mit völlig anderen Augen… und Ohren!

Ganymedinpower
„Alle Kinder, die jetzt geboren werden, kennen keine Welt ohne Corona“, überlegt Manaho Shimokawa.

Neben der abgestimmten Glitzerkleidung der Künstler fallen dieses Jahr besonders die ausgefallenen Instrumente auf: Ist es eine Mini-E-Geige oder doch eine Gitarre, der Matthias Jakisic diese Töne entlockt? Er begleitet Peter Wolf beim Sinnieren über Pinot Noir. Vor dem Rubens-Gemälde „Cimon und Efigenia“ wird eine Gitarre mit zwei Hälsen bearbeitet und neben dem Mini-Bild „Maria mit Kind“ liefert eine Drehleier den Soundtrack zu den Freuden und Ängsten einer tatsächlich hochschwangeren Manaho Shimokawa. Das Instrument am Schoß von Verena Zeiner kennt man schließlich: Mit Keyboard begleitet sie einen Stopp Motion-Film über den Baby-Drachen, dessen Papa vom Heiligen Georg am Gemälde nebenan erstochen wurde.

Ganymedinpower
Schräge Gitarre und schräger Gesang zu Peter Paul Rubens.

Absolutes Highlight: „Blech und Tizian“. Die Musiker Martin Eberle und Martin Ptak sind zwar schon Ganymed-erprobt, mit Trompete, Posaune und Klavier heuer aber besonders gefordert. Ihre mächtigen Blech-Episoden sind auch vor dem Besuch beim Tizian-Gemälde den ganzen Abend immer wieder durch die gesamte Gemäldegalerie zu hören.

Man hat wie immer nur bis 22:00 Uhr Zeit, sich alle Darbietungen zu geben. Wer sich zum Hirn-Auslüften zwischendurch in der Kuppelhalle den Pinot Noir gönnen will, den Mikael Torfason in seinem Text verherrlicht, muss jedenfalls auf den einen oder anderen Act verzichten. Fazit: Berührt, bewegt, begeistert und ein wenig ausgepowert nimmt man vor dem Museum schließlich die Maske ab. Ganymed ist jedes Mal ein Genuss! Bis Ende August gibt es noch 15 Termine.

Ganymedinpower
Der Text zu Pieter Bruegels „Die Kinderspiele“ geht besonders unter die Haut.
Ganymedinpower
Christian Nickel schreckt in der Nacht hoch, weil er vom mächtigen weißen Pfau träumt.
Ganymedinpower
Ob Gold oder Silber: Die Künstlerinnen und Künstler glitzerten diesmal um die Wette.

Einmalig: Geisterschloss Schönbrunn

Auf der Tour durch Spiegelsaal, Große Galerie, Frühstückskabinett, Porzellanzimmer und Co. begleiten einen normalerweise hunderte weitere Sightseer. Derzeit hat man die über vierzig Ausstellungsräume des Schloss Schönbrunn für sich alleine. Wirklich ganz für sich alleine! Nur im schwarzen Vieux Laque-Zimmer – Maria Theresia ließ es nach dem plötzlichen Tod ihres geliebten Gatten als Gedächtniszimmer einrichten – trifft man auf eine Handvoll Restaurateure, die den wertvollen Boden bearbeiten. Und die voll besetzten Shops erinnern einen, dass mit den vielen Sisi-Souvenirs hier sonst die Kassen klingeln.

Es ist jetzt DIE Gelegenheit, sich zwischen dem ganzen Rokoko-Pomp völlig entspannt eine Geschichte-Stunde über Österreichs Habsburgerzeit zu gönnen. Viele unterschiedliche Zimmer erzählen die aufregenden Geschichten ihrer Bewohner, die auf den Gemälden fast zum Leben erwachen. Hier spielte der sechsjährige Mozart vor, hier starb Napoleons Sohn, hier hielt Kaiser Franz Joseph seine Audienzen, hier schrieb Kaiserin Elisabeth ihr Tagebuch, hier trafen sich John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow,…

Freundlicher Tipp der Garderobiere: Lassen Sie die Jacken an! Es ist ziemlich kühl oben – es wird nicht geheizt.

Der Weihnachtsbaum steht heuer etwas verloren da, die Prunksäle sehen hingegen ohne Menschenmassen viel besser aus.

Wie Chorkonzerte möglich werden

Singen wird in Corona-Zeiten häufig als gefährlich dargestellt. Sorgen, dass das Chorleben dadurch praktisch zum Erliegen kommt, sind sicher berechtigt. Hoffnung bereiten dieser Tage Chorkonzerte wie jenes der Wiener Singakademie, die Antonín Dvořáks Messe in D-Dur mit Robert Kovács an der Orgel im Konzerthaus erklingen ließ. Dirigent Heinz Ferlesch war es, der nach dem Corona-Lockdown an vorderster Front gekämpft hatte, um Proben- und Aufführungspraxis nicht völlig im Keim ersticken zu lassen.

Mit durchdachtem Hygienekonzept und klaren Verhaltensregeln gelingt dies! Kleinere Besetzungen, längere Pausen zum Lüften, Desinfizieren von Sesseln und Notenständern, genau markierter Platz mit Abstand für jede Sängerin und jeden Sänger prägen etwa die Proben. Zum Konzert kommen die Musiker bereits mit Chorkleidung, das Umziehen wird auch hinterher auf Zuhause verlegt. Die Maske wird auf der Bühne erst am Platz abgenommen. Dass sich der große Aufwand lohnt, versteht sich von selbst! Besonders das Cum Sancto Spirito, das Hosanna und das Dona Nobis Pacem ließen einen im Großen Saal beglückt und dankbar zurücklehnen: Danke, dass es noch Chormusik gibt!

Abstand und Maske bis zum Platz gilt im Konzerthaus für den Chor genauso wie für die Besucher.