Zwei bis vier Sekunden verbringen Museumsbesucher durchschnittlich vor einem Bild. Das erscheint gerade bei den riesigen Gemälden im Kunsthistorischen Museum Wien erschreckend wenig. Nicht so beim Projekt Ganymed Nature. Die Idee ist so einfach wie genial: Schriftsteller und Komponisten suchen sich ein Bild in der Gemäldegalerie aus und schreiben darüber – einen Text oder ein Musikstück. Schauspieler und Musiker geben die Werke direkt vor den jeweiligen „Quellen“ zum Besten.

Und so strömen bei einer Vorstellung rund 700 Besucher ausgerüstet mit Klapphocker und Plan durch die beeindruckenden Hallen des KHM und erleben, wie Katharina Stemberger Rubens‘ „Venusfest“ in allen Details zerlegt und als Speckfaltenexplosion bezeichnet (der Text stammt von Eva Menasse), die Strottern auf der Klimtbrücke singen „mogst schaun, weil ma vo da Weitn jo nix siacht“ und Peter Wolf vor Sandrarts‘ „Fischmarkt“ erzählt, wie Hummer gefangen, bei lebendigem Leib in den Topf geworfen und gepeinigt werden. Groß und Klein, Jung und Alt lauschen wie Kinder bei einer Märchenstunde – mit großen Augen und voller Spannung. Besonders bei der Station vor Gentileschis „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ ist die Stille praktisch greifbar. Da liegt Josef erschöpft auf dem Boot und vor ihm erzählt die 20-jährige Rania, die aus ihrer Heimat Kobane in Syrien geflohen ist, dass Ruhe ein wesentliches Element auf der Flucht ist…
Wer mit den üppigen, scheinbar immer gleichen Gemälden der Alten Meister voller Nackter und anderer Grauslichkeiten in der Gemäldegalerie bislang nichts anzufangen wusste, der wird sie nach Ganymed nicht nur schätzen und lieben, sondern mit völlig anderen Augen sehen. Und das unweigerlich länger als wenige Sekunden.