RaDeschnig spielen bis zum Untergang

Draußen Untergang, drinnen Unterhaltung: Was das Streichquartett auf der Titanic vorgemacht hat, führt das Kabarettduo RaDeschnig nun heldenhaft fort. Im neuen Programm „Säulenheilig“ sitzen die beiden Zwillingsschwestern Nicole und Birgit RaDeschnig jede aktuelle (und politische) Katastrophe aus. („Unsere Sitze werden besser, unsere Haltung schlechter.“)

Sie nehmen Klarinette, Akkordeon und Lachsbrötchen zur Hand – und schwimmen synchron durch den Pädagogik- und Pfegebereich („Mir geht die Luft aus“). Sie tragen Mikrodramen vor – etwa zum Thema Artensterben („Auster-Traum“) und zeigen auf, wo Kinder abstürzen („Schaukel, Fenster, Mittelstand“). Vom Geflügel-Charity-Clubbing („Ente gut, alles gut“), einer solistisch virtuos vorgetragenen US-Hymne für Celebreties im Gailtal („Sie waren da, der Winter nicht“) bis zum Gemeinschafts-Pop-Projekt „Austria for heritage“ („Wenn der Nachlass nachlässt“) – RaDeschnig geben für ihr Publikum alles!

Fazit: Sie sind Heldinnen, wie wir sie spätestens seit der Pandemie kennen. Als systemrelevantes Kabarettduo, das sich in den Dienst der guten Sache stellt, bekommen Nicole und Birgit RaDeschnig nun endlich das, was sie verdienen: Applaus!

Synchronschwimmen im Kabarett Niedermair – Nicole und Birgit RaDeschnig (Regie: Magda Leeb)

Bernhard Viktorin gewinnt 16. Ennser Kleinkunstkartoffel

Victory for Viktorin: Der renommierte TV-Kabarettpreis Ennser Kleinkunstkartoffel geht heuer an Bernhard Viktorin. Der Sänger, Schauspieler und Kabarettist konnte am Samstagabend in der Stadthalle Enns mit einem Plädoyer gegen das „Schwarz-Weiß-Denken“ und seinem „vereinenden“ Mitmachlied „Manche aber schon“ die meisten Stimmen des Publikums für sich gewinnen. „Ich habs geschafft! Jetzt kann ich in Pension gehen“, lacht der 39-jährige Wiener, der sich über Auftritte auf ORF III und im Kulturhof Linz freuen darf. „Ich glaub, ich mach doch noch ein bisschen weiter. Jetzt geht’s los!“

Ebenso viel Applaus bekamen an diesem hochkarätig besetzten Kabarettabend die anderen Finalistinnen und Finalisten der Kleinkunstkartoffel Michael Bauer, Anja Grinschgl, John Smile, Ina Jovanovic und Sandro Swoboda. Durch die Show führte TV-Moderator Clemens Maria Schreiner. Als Showact strapazierte Kabarett-Shootingstar Benedikt Mitmannsgruber die Lachmuskeln. Ein Best-of des Kabarettpreises wird am 2. März um 22.55 auf ORF III ausgestrahlt – uns ist danach in der ORF TVthek zu sehen.

Starkes Line-Up der Kleinkunstkartoffel 2023: Clemens Maria Schreiner, Benedikt Mitmannsgruber, Ina Jovanovic, Anja Grinschgl, Michael Bauer, Sandro Swoboda und John Smile.

Après-Kabarett über Corona: „Lache, wenn du kannst“

Wenn sich das Kabarett Niedermair mit bunten Lichtern und lauten Après-Ski-Hits ins Kitzloch verwandelt – steht Xaver Schumacher auf der Bühne. In seinem Programm „Ischgl“ lässt der Tiroler die Pandemie und die damit verbundenen Entscheidungen in Ischgl („Alles richtig gemacht“) noch einmal Revue passieren. Corona – was tun? „Kein Bussi mehr für die Stammgäste – und am Abend ein Schnapserl.“

Dabei geht es nicht ums Anpatzen der Heimat. Denn „das Virus war kein Tiroler. Das war ein Ausländer!“ Überhaupt war der Corona-Cluster in Ischgl einer dieser Momente, „wo man sieht, wie aus Touristen plötzlich Ausländer werden“. Die Pandemie brachte aber auch gute Ansätze: Systemrelevante Berufe wurden beklatscht, man hörte erstmals von „vulnerablen Gruppen“, und Pflegekräfte, Erntehelfer sowie Saisonarbeiter aus dem Osten waren plötzlich in den Medien! „Das hat es noch nie gegeben! Das war kurz bevor es geheißen hat – wir müssen zurück in die Normalität.“ Fazit: Schumacher präsentiert eine Mischung aus Kabarett und analytisch-kritisch-satirischem Vortrag – getreu dem Motto „Lache, wenn du kannst“ oder wie sie in Ischgl warnen: „Relax, if you can“.

Großartig: Schumacher analysiert Après-Ski-Hits wie „Tschüss Niveau“ von Chaos Team

Der Gescheite und der Blöde

„Die goldene Pfanne“ heißt das dritte Kabarettprogramm von Marecek & Musner. Darin bedient das Duo ein selten gewordenes Genre – das Stück lebt durchgängig von der Dynamik einer Doppelconférence! Doch anstatt Altmeister zu kopieren oder alte Sketche neu aufzuwärmen, holen sie den Stil erfolgreich in eine neue Zeit.

Das Duo, bestehend aus dem in Wien geborenen Schweizers Ben Marecek und des in Kärnten geborenen Osttirolers Nikita Musner, wird im neuen Programm von der eigenen Vergangenheit eingeholt und muss Nerven und Zusammenhalt beweisen. Ganz nebenbei beantworten die beiden, wie man eigentlich ein Kabarettprogramm schreibt und warum es nicht gut ist, sein Leben mit dem von Christiano Ronaldo zu tauschen. Fazit: Mit „Die goldene Pfanne“ wissen Marecek & Musner wiederholt eine eigene Geschichte des Gscheiten und des Blöden zu erzählen. Fans des Genres kommen auf ihre Kosten.

Marecek & Musner im Theater am Alsergrund

Maria Muhar: Überleben mit Galgenhumor

In „Storno“ spielt Maria Muhar mehr oder weniger sich selbst. Die 36-Jährige arbeitet an einem Roman – und hält sich mit Gastrojobs und AMS finanziell über Wasser. „Ein Steuerberater ist eigentlich ein Bildhauer. Du bringst ihm einen Haufen Schrott und er macht dir daraus ein abstraktes Kunstwerk!“

Während sie in der Nacht mit Energiedrink in der Hand die schlafenden Kinder ihrer Freundin hütet, erzählt sie von Catcalling, Frauenärztin, Politik („Die ÖVP hasst Frauen, aber Flüchtlinge noch mehr…“) und Überforderung. „Ist das Leben zu kurz um Kinder zu kriegen oder zu kurz, um keine zu kriegen?“ Wer sich dafür entscheidet, brauche blinden Optimismus und Gelassenheit. „Einfach mal gechillt vermehren – zwischen Apokalypse, Patriachat und Atomkrieg.“

Fazit: Maria Mahur bringt mit „Storno“ im Kabarett Niedemair ein brutal gutes Theaterstück auf die Kabarettbühne – mit Galgenhumor und fesselnder Geschichte, bei der nicht klar ist, ob sie gut ausgeht. „Irgendwann kommen sie mir drauf“, sagt Muhar nachdenklich. Man möchte ergänzen: „Wie großartig ihr Debüt ist!“

Im echten Leben hochoffiziell Künstlerin: Maria Muhar hat neben ihrem Kabarettdebüt gerade ihren Debütroman „Lento Violento“ im Verlag Kremayr und Scheriau veröffentlicht.

Chrissi Buchmasser: Lustiger als jeder Zipfel

Fast hätte es Jungmama Chrissi Buchmasser nicht zu ihrer eigenen Kabarett-Premiere ins Niedermair nach Wien geschafft. „Ich kann den armen Scheißer ja nicht allein zuhause lassen – mit unserem Baby!“ Also muss der Tontechniker während der Vorstellung den Babysitter spielen.

„Braves Kind“ nennt die 33-jährige Grazerin ihr Debütprogramm. Dabei erzählt sie schonungslos die Wahrheit übers Kinderkriegen und die Folgen – für Mütter. Mit Gitarre in der Hand stellt Buchmasser die richtigen Fragen: „Wenn in Bilderbüchern nur Vater und Kind vorkommen – warum denke ich dann automatisch, dass die Mutter tot sein muss? Warum heißt es Frauenfußball und nicht Fußball? Warum sind im Fernsehen beim Kabarettgipfel noch immer fast nur Zipfel zu sehen?“

Fazit: Ab sofort sollte für werdende Eltern neben dem Geburtsvorbereitungskurs eine Vorstellung von „Braves Kind“ verpflichtend sein. Sie werden Humor dringend brauchen. Auch allen anderen sei das Programm empfohlen. Chrissi Buchmasser schafft es, das körperlich, gesellschaftlich und politisch heikle Thema Kinder authentisch, sympathisch und lustig auf die Bühne zu bringen. „Werdet jetzt Fan, bevor ich Mainstream bin.“

Chrissi Buchmasser liebt ihren einjährigen „Christus“ – und singt ihm Kinderlieder im Stil von Pizzera & Jaus, Bilderbuch, Wanda und Helene Fischer vor.

Der Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber

Von der Kreuzfahrtschiff-Bar „Alk-Aida“, wo sich schon einige „weggesprengt“ haben, bis zur „Ofen-Paarung des Johannes“: Benedikt Mitmannsgruber setzt auch in seinem zweiten Kabarettprogramm „Der seltsame Fall des Benedikt Mitmannsgruber“ (Regie: Petra Dobetsberger) stark auf Wortwitze. Natürlich sind auch sein Schnauzer, der Norweger-Pullover und – leider – die Powerpoint-Präsentation wieder mit dabei.

Mitmannsgruber spielt den gleichnamigen Antihelden aus dem Mühlviertel, der nicht erwachsen werden will. („Meine Mama hat die Unterhose gewaschen, ich bin erst 26 Jahre alt“). Er berichtet von seinem Heimatort, in dem es einen „klassischen Rassisten-Überschuss“, aber keine Ausländer gibt („Sehr viel Nachfrage, kein Angebot.“), von folgenreichen Fehlern ärztlicher Ferndiagnosen und öffnet dem Publikum mit Verschwörungstheorien die Augen. „Wacht auf!“ Top: Selbst in Coronazeiten kann nur empfohlen werden, sich in sein „ungetestetes“ Programm zu wagen, auch wenn er selbst „noch nicht lange am Markt ist“. Der Tagespresse-Autor bringt böse Pointen und Wortwitze im Zwei-Satz-Rhythmus. Ein Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber!

Benedikt Mitmannsgruber bei seiner Wien-Premiere im Kabarett Niedermair: „Wie nennt man im Mühlviertel Veganer? – Trottel.“

Romeo Kaltenbrunner regt sich auf

Romeo Kaltenbrunner muss raus aus der Wohnung. Seine reiche Wiener Freundin hat sich vom zugezogenen Oberösterreicher getrennt. Die Unterschiede waren zu groß. „Sie hat immer gemeint, ich sudere zu viel. Dabei rege ich mich nur gelegentlich auf. Das ist etwas ganz anderes. Sudern ist ein Brainstorming. Da überlege ich laut vor mich hin, worüber ich mich aufregen könnte. Beim Aufregen picke ich mir maximal zwei Themen raus, untermauere sie mit recherchierten Fakten, gebe noch Emotionen und Selbsterlebtes dazu. Das ist höchst wissenschaftlich!“

Kabarettist Romeo Kaltenbrunner regt sich in seinem ersten Soloprogramm „Selbstverliebt“ herrlich unterhaltsam auf – etwa über die Unterschiede zwischen Land und Stadt („Dinge, die man nur in der Stadt braucht: Individualtität, Führerschein, FFP2-Maske…“) oder über die Fragen nach seiner Herkunft bei Bewerbungsgesprächen („Bei den ‚österreichischen‘ Produkten im Regal nimmt es die Lebensmittel-Handelskette auch nicht so genau. Da wird die Willkommenskultur gelebt“). Fazit: Ein großartiges Debüt! Besonders für Landmenschen, die in die Stadt gezogen sind – sehr empfehlenswert!

Romeo Kaltenbrunner – der Sieger der Ennser Kleinkunstkartoffel 2022 – hat im Kabarett Niedermair sein erstes Soloprogramm „Selbstverliebt“ auf die Bühne gebracht

Elli Bauer sucht einen Eislaufpinguin

„Überschnurchdittlich“ heißt das zweite Soloprogramm von Elli Bauer. Das Leben der Kabarettistin ist außer Kontrolle. Sie hat den Fugenaufsatz ihres Staubsaugers verloren! („Wer verliert sowas? Und wo?“) Elli sucht etwas, das ihr Halt gibt – wie ein Eislaufpinguin. Sie hat viel probiert, täglich Ö1 hören zum Beispiel („Baldrian der Nation“). Aber selbst da kann sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass alles so bleibt, wie es schon immer war. „Hip-Hop auf Ö1 ist, wie wenn dir jemand bei McDonalds einen Apfel in die Hand drückt.“

Noch dazu ist Elli aus der Kirche ausgetreten und muss sich daher ihren eigenen Festivitätenkalender zusammenstellen. „Was machst du zu Weihnachten als Atheistin?“ Auch kirchlich heiraten wird schwierig, aber Elli ist davon ohnehin nicht überzeugt: „Der Vater hat die Tochter im Arm und übergibt sie einem anderen Mann – wie sich das so gehört fürs 21. Jahrhundert!“

Elli Bauer lieferte bei ihrer Premiere in der Wiener Kulisse viele Erkenntnisse wie: Je mehr wir uns aufregen, desto mehr rutschen wir vom Dialekt (Des derf jo ned woar sei) ins Hochdeutsch (DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN!)

Fazit: Elli Bauer lässt in ihrem zweiten Programm die Gitarre weg und erzählt stattdessen fast flüsternd vom gesellschaftlichen Wunsch nach einfachen Antworten, wie wir daran scheitern, es aber nicht wahrhaben wollen. Ein Plädoyer gegen das Perfektsein („Ein Kinder Pingui ab und zu ist voll ok“, „Deadlines sind Vorschläge“). Ein überschnurchdittlicher Kabarettabend!

Hader und das Kabarett: „Als wäre es nichts Besonderes“

Eine Laudatio auf Josef Hader zu halten ist – vorsichtig ausgedrückt – eine Herausforderung. Kabarettist Hosea Ratschiller wurde beim Österreichischen Kabarettpreis 2022 gebeten, genau das zu tun. Er musste „das teuflische Genie“ Josef Hader „gratis loben“, obwohl der Ausgezeichnete bei der Verleihung selbst nicht einmal anwesend war!

Ratschiller erzählte, dass „Josef“ immer wieder in „verrauchten, versifften Comedykellern“ auftaucht, um sich junge Kolleginnen und Kollegen anzuschauen. Warum? „Weil er sich für seinen Beruf interessiert!“ Diese Niederschwelligkeit und auch das Tiefstapeln sei generell typisch für diese Form der Kleinkunst. „Kabarett lebt davon, dass wir so tun, als wäre es nichts Besonderes.“ Ratschiller ist überzeugt: Josef Hader könnte in weit größeren Sälen spielen und 120 Euro für eine Karte verlangen. Aber er macht das nicht, „weil er seinen Beruf mag und lieber für ein Publikum spielt, als für eine Zielgruppe.“

Die Gewinner des Österreichischen Kabarettpreises 2022: Josef Hader (Hauptpreis), Malarina (Förderpreis), Berni Wagner (Programmpreis), Science Busters (Publikumspreis).

Tipp: Die Verleihungsgala des Österreichischen Kabarettpreises samt Hosea Ratschillers Laudatio auf Josef Hader ist (stark gekürzt) aktuell in der ORF-TVthek zu sehen.