Was kann man von der Festwochen-Produktion „La Traviata“ erwarten – und was nicht? Sopranistin Irina Lungu begeistert mit ihrer Stimme (und Schönheit) in der Rolle der sterbenskranken Violetta, der Tenor Saimir Pirgu überzeugt als Liebhaber Alfredo und Bariton Gabriele Viviani singt sich als dessen Vater in die Herzen des Publikums.
Nicht nur die Solisten, sondern auch der Arnold Schoenberg Chor und das ORF Radio-Symphonieorchester sind grandios, aber das wird bei Festwochen-Produktionen auch erwartet. Die Inszenierung von Deborah Warner ist nichts Besonderes und auch das Bühnenbild von Jeremy Herbert ist bis auf ein paar Lichteffekte völlig unspektakulär und minimalistisch angelegt. Der Inhalt der Oper ist sowieso bescheiden, sodass es sich nicht lohnt, den Text mitzulesen. Das ist aber gut so, denn so kann man sich auf das Wesentliche der Oper konzentrieren – auf die Musik von Giuseppe Verdi.

Dirigent Omer Meir Wellber sitzt zwischen den Akten ruhig und gelassen am Dirigentpult
Im Zentrum der Musik (und der Kritiker) stand der junge Dirigent Omer Meir Wellber. Mit gerade einmal 31 Jahren leitete der israelische Komponist und Dirigent bereits Konzerte von Peking bis Wien. Trotz seiner beachtlichen Erfolge wirkte er bei der Wiener „La Traviata“ äußerst bescheiden. Zu Beginn begrüßte er das Orchester und wartete vor leerem Notenpult ruhig und gelassen auf den Beginn der Aufführung. Während der Oper dirigierte er höchst konzentriert und überließ nichts dem Zufall. Jeder Einsatz wurde gegeben, jeder Übergang wurde von ihm bestimmt. Bei den Arien lenkte er Ton für Ton und sang mit den Solisten leise mit. Damit gab er zwar Sicherheit, überließ den Musikern und Solisten aber keinen Freiraum.
In den Pausen wischte sich Omer Meir Wellber den Schweiß von der Stirn, schloss die Augen, neigte den Kopf und wartete ruhig auf seinen nächsten Einsatz. Immer wieder ließ er seinen energischen Blick durch den Orchestergraben wandern, trieb das Orchester an und beruhigte es sofort wieder. Er verstand es, die Musik von G. Verdi so zu interpretieren, dass man als Zuhörer vor Ergriffenheit eine Gänsehaut bekam. Wenn eine Stelle gut gemeistert wurde, applaudiert er voller Freude mit dem Dirigentenstab und gratulierte den Solisten und Musikern. Dazu hatte er oft die Gelegenheit.

Großer Applaus für das „La Traviata“-Ensemble
Fazit: Die Festwochenproduktion „La Traviata“ ist ein musikalischer Traum und ein Erlebnis. Sowohl Dirigent Omer Meir Wellber als auch die Solisten liefern eine beachtliche Leistung ab. Diese Meinung teilten bisher zwar nur die wenigsten Kritiker, das Publikum zeigte sich jedoch mit lang anhaltendem Applaus und „Bravo“-Rufen begeistert. (Randnotiz: Ich bin froh, dass sich Österreich solche Produktionen leisten kann. Meine Studenten-Sitzplatzkarte über dem Orchestergraben kostete so viel, wie zwei Wurstsemmeln.)
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