RaDeschnig spielen bis zum Untergang

Draußen Untergang, drinnen Unterhaltung: Was das Streichquartett auf der Titanic vorgemacht hat, führt das Kabarettduo RaDeschnig nun heldenhaft fort. Im neuen Programm „Säulenheilig“ sitzen die beiden Zwillingsschwestern Nicole und Birgit RaDeschnig jede aktuelle (und politische) Katastrophe aus. („Unsere Sitze werden besser, unsere Haltung schlechter.“)

Sie nehmen Klarinette, Akkordeon und Lachsbrötchen zur Hand – und schwimmen synchron durch den Pädagogik- und Pfegebereich („Mir geht die Luft aus“). Sie tragen Mikrodramen vor – etwa zum Thema Artensterben („Auster-Traum“) und zeigen auf, wo Kinder abstürzen („Schaukel, Fenster, Mittelstand“). Vom Geflügel-Charity-Clubbing („Ente gut, alles gut“), einer solistisch virtuos vorgetragenen US-Hymne für Celebreties im Gailtal („Sie waren da, der Winter nicht“) bis zum Gemeinschafts-Pop-Projekt „Austria for heritage“ („Wenn der Nachlass nachlässt“) – RaDeschnig geben für ihr Publikum alles!

Fazit: Sie sind Heldinnen, wie wir sie spätestens seit der Pandemie kennen. Als systemrelevantes Kabarettduo, das sich in den Dienst der guten Sache stellt, bekommen Nicole und Birgit RaDeschnig nun endlich das, was sie verdienen: Applaus!

Synchronschwimmen im Kabarett Niedermair – Nicole und Birgit RaDeschnig (Regie: Magda Leeb)

Après-Kabarett über Corona: „Lache, wenn du kannst“

Wenn sich das Kabarett Niedermair mit bunten Lichtern und lauten Après-Ski-Hits ins Kitzloch verwandelt – steht Xaver Schumacher auf der Bühne. In seinem Programm „Ischgl“ lässt der Tiroler die Pandemie und die damit verbundenen Entscheidungen in Ischgl („Alles richtig gemacht“) noch einmal Revue passieren. Corona – was tun? „Kein Bussi mehr für die Stammgäste – und am Abend ein Schnapserl.“

Dabei geht es nicht ums Anpatzen der Heimat. Denn „das Virus war kein Tiroler. Das war ein Ausländer!“ Überhaupt war der Corona-Cluster in Ischgl einer dieser Momente, „wo man sieht, wie aus Touristen plötzlich Ausländer werden“. Die Pandemie brachte aber auch gute Ansätze: Systemrelevante Berufe wurden beklatscht, man hörte erstmals von „vulnerablen Gruppen“, und Pflegekräfte, Erntehelfer sowie Saisonarbeiter aus dem Osten waren plötzlich in den Medien! „Das hat es noch nie gegeben! Das war kurz bevor es geheißen hat – wir müssen zurück in die Normalität.“ Fazit: Schumacher präsentiert eine Mischung aus Kabarett und analytisch-kritisch-satirischem Vortrag – getreu dem Motto „Lache, wenn du kannst“ oder wie sie in Ischgl warnen: „Relax, if you can“.

Großartig: Schumacher analysiert Après-Ski-Hits wie „Tschüss Niveau“ von Chaos Team

Maria Muhar: Überleben mit Galgenhumor

In „Storno“ spielt Maria Muhar mehr oder weniger sich selbst. Die 36-Jährige arbeitet an einem Roman – und hält sich mit Gastrojobs und AMS finanziell über Wasser. „Ein Steuerberater ist eigentlich ein Bildhauer. Du bringst ihm einen Haufen Schrott und er macht dir daraus ein abstraktes Kunstwerk!“

Während sie in der Nacht mit Energiedrink in der Hand die schlafenden Kinder ihrer Freundin hütet, erzählt sie von Catcalling, Frauenärztin, Politik („Die ÖVP hasst Frauen, aber Flüchtlinge noch mehr…“) und Überforderung. „Ist das Leben zu kurz um Kinder zu kriegen oder zu kurz, um keine zu kriegen?“ Wer sich dafür entscheidet, brauche blinden Optimismus und Gelassenheit. „Einfach mal gechillt vermehren – zwischen Apokalypse, Patriachat und Atomkrieg.“

Fazit: Maria Mahur bringt mit „Storno“ im Kabarett Niedemair ein brutal gutes Theaterstück auf die Kabarettbühne – mit Galgenhumor und fesselnder Geschichte, bei der nicht klar ist, ob sie gut ausgeht. „Irgendwann kommen sie mir drauf“, sagt Muhar nachdenklich. Man möchte ergänzen: „Wie großartig ihr Debüt ist!“

Im echten Leben hochoffiziell Künstlerin: Maria Muhar hat neben ihrem Kabarettdebüt gerade ihren Debütroman „Lento Violento“ im Verlag Kremayr und Scheriau veröffentlicht.

Chrissi Buchmasser: Lustiger als jeder Zipfel

Fast hätte es Jungmama Chrissi Buchmasser nicht zu ihrer eigenen Kabarett-Premiere ins Niedermair nach Wien geschafft. „Ich kann den armen Scheißer ja nicht allein zuhause lassen – mit unserem Baby!“ Also muss der Tontechniker während der Vorstellung den Babysitter spielen.

„Braves Kind“ nennt die 33-jährige Grazerin ihr Debütprogramm. Dabei erzählt sie schonungslos die Wahrheit übers Kinderkriegen und die Folgen – für Mütter. Mit Gitarre in der Hand stellt Buchmasser die richtigen Fragen: „Wenn in Bilderbüchern nur Vater und Kind vorkommen – warum denke ich dann automatisch, dass die Mutter tot sein muss? Warum heißt es Frauenfußball und nicht Fußball? Warum sind im Fernsehen beim Kabarettgipfel noch immer fast nur Zipfel zu sehen?“

Fazit: Ab sofort sollte für werdende Eltern neben dem Geburtsvorbereitungskurs eine Vorstellung von „Braves Kind“ verpflichtend sein. Sie werden Humor dringend brauchen. Auch allen anderen sei das Programm empfohlen. Chrissi Buchmasser schafft es, das körperlich, gesellschaftlich und politisch heikle Thema Kinder authentisch, sympathisch und lustig auf die Bühne zu bringen. „Werdet jetzt Fan, bevor ich Mainstream bin.“

Chrissi Buchmasser liebt ihren einjährigen „Christus“ – und singt ihm Kinderlieder im Stil von Pizzera & Jaus, Bilderbuch, Wanda und Helene Fischer vor.

Der Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber

Von der Kreuzfahrtschiff-Bar „Alk-Aida“, wo sich schon einige „weggesprengt“ haben, bis zur „Ofen-Paarung des Johannes“: Benedikt Mitmannsgruber setzt auch in seinem zweiten Kabarettprogramm „Der seltsame Fall des Benedikt Mitmannsgruber“ (Regie: Petra Dobetsberger) stark auf Wortwitze. Natürlich sind auch sein Schnauzer, der Norweger-Pullover und – leider – die Powerpoint-Präsentation wieder mit dabei.

Mitmannsgruber spielt den gleichnamigen Antihelden aus dem Mühlviertel, der nicht erwachsen werden will. („Meine Mama hat die Unterhose gewaschen, ich bin erst 26 Jahre alt“). Er berichtet von seinem Heimatort, in dem es einen „klassischen Rassisten-Überschuss“, aber keine Ausländer gibt („Sehr viel Nachfrage, kein Angebot.“), von folgenreichen Fehlern ärztlicher Ferndiagnosen und öffnet dem Publikum mit Verschwörungstheorien die Augen. „Wacht auf!“ Top: Selbst in Coronazeiten kann nur empfohlen werden, sich in sein „ungetestetes“ Programm zu wagen, auch wenn er selbst „noch nicht lange am Markt ist“. Der Tagespresse-Autor bringt böse Pointen und Wortwitze im Zwei-Satz-Rhythmus. Ein Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber!

Benedikt Mitmannsgruber bei seiner Wien-Premiere im Kabarett Niedermair: „Wie nennt man im Mühlviertel Veganer? – Trottel.“

Romeo Kaltenbrunner regt sich auf

Romeo Kaltenbrunner muss raus aus der Wohnung. Seine reiche Wiener Freundin hat sich vom zugezogenen Oberösterreicher getrennt. Die Unterschiede waren zu groß. „Sie hat immer gemeint, ich sudere zu viel. Dabei rege ich mich nur gelegentlich auf. Das ist etwas ganz anderes. Sudern ist ein Brainstorming. Da überlege ich laut vor mich hin, worüber ich mich aufregen könnte. Beim Aufregen picke ich mir maximal zwei Themen raus, untermauere sie mit recherchierten Fakten, gebe noch Emotionen und Selbsterlebtes dazu. Das ist höchst wissenschaftlich!“

Kabarettist Romeo Kaltenbrunner regt sich in seinem ersten Soloprogramm „Selbstverliebt“ herrlich unterhaltsam auf – etwa über die Unterschiede zwischen Land und Stadt („Dinge, die man nur in der Stadt braucht: Individualtität, Führerschein, FFP2-Maske…“) oder über die Fragen nach seiner Herkunft bei Bewerbungsgesprächen („Bei den ‚österreichischen‘ Produkten im Regal nimmt es die Lebensmittel-Handelskette auch nicht so genau. Da wird die Willkommenskultur gelebt“). Fazit: Ein großartiges Debüt! Besonders für Landmenschen, die in die Stadt gezogen sind – sehr empfehlenswert!

Romeo Kaltenbrunner – der Sieger der Ennser Kleinkunstkartoffel 2022 – hat im Kabarett Niedermair sein erstes Soloprogramm „Selbstverliebt“ auf die Bühne gebracht

Kabarettist und Affe im Wilden Westen

„Der große Blonde mit dem braunen Affen“ nennt Michael Großschädl sein zweites Kabarettprogramm. Tatsächlich steht der Grazer Musikkabarettist nicht nur mit Klavier und Schlagzeug, sondern auch mit Plüschaffen auf der Bühne. Das ungewöhnliche Duo nimmt sein Publikum mit auf eine Reise. Stimmenimitator Großschädl erzählt von der „Schranz-Hocke“ über dem ÖBB-Klo – inklusive Live-Kommentar von Hans Knaus: „Es geht um die Wurst! Da ziehen wir die erste Spur…“. In einer Salon-Western-Szene ist für das Publikum dann Mitmachen angesagt.

Michael Großschädl nimmt im Kabarett Niedermair nicht nur Herbert auf den Arm.

Über den chinesischen Koch erfahren wir, dass Kinderlieder wie „Wer will fleißige Handwerker sehen“ ursprünglich aus China kommen. „Stich an Stich, Naht an Naht. Schon hängt das T-Shirt parat.“ Aber keine Sorge, die Kinder dürfen dort die „Abendvolksschule“ besuchen. Fazit: Großschädl ist ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, der einen mit Klavier und vertrauten Stimmen (Falco, Gabalier, Schwarzenegger,…) zum Schmunzeln bringt. Er scheut in seinem Musik- und Mitmachkabarett auch nicht davor zurück, sich selbst zum Affen zu machen.

Schreiner feiert wie sonst keiner

Wenn Clemens Maria Schreiner eine Party schmeißt, spielt die alle Stückl – inklusive der „drei Fs einer jeden ruralen Disney-Hochzeit: Feuerwerk, Fassbier, Fotobox“. Mit seinem neuen Programm „Krisenfest“ feierte er diese Woche im besten Sinne des Wortes Wien-Premiere im Kabarett Niedermair. Mit speziellen (nämlich virtuellen) Gästen ist es auf seiner Party besonders lustig, darunter Poppi, die sich mit jedem gut verträgt außer mit Alkohol, und Axel, der Fitness-Influencer mit asterixesker vertikaler Ausdehnung.

Beim Karaoke kommt Schreiner mitunter der unolympische Gedanke: „Da nicht dabei sein wär alles“, aber richtig in Rage kommt er beim Gruppentanzwahnsinn: „YMCA spielts heute sicher nicht! Das ist auf der schwarzen Liste! Gemeinsam mit E Macarena und dem Ketchup Song! Partymusik, die gleichgeschaltete Tanzbewegungen fördert, die Perversion eines körperlichen Ausdrucks, die dem kranken Hirn eines am Leben gescheiterten Choreographen entsprungen ist und die durch die unmenschliche Maschinerie der Sommerhits, die das Gedächtnis ganzer Generationen wehrloser Tänzer…“ Da ginge es noch ein paar Geistesergüsse weiter. Für ein Kabarettprogramm super, für einen Blog einfach zu lang.

Wodka Ribisel war das In-Getränk der Party. Schreiner begoss damit sein erstes Krisenfest in Wien.

Aufregen kann Schreiner auch, dass wir uns leicht aufregen lassen. „Irgendwer läutet genüsslich das Glockerl der Kontroverse und schon speicheln wir ein. Politiker haben ihre Glockerl – ganz fein auf die jeweilige Zielgruppe gestimmt. Medien haben ein ganzes Glockenspiel – damit alle gleichzeitig safteln. Und der rechte Populismus hängt sowieso 24/7 an der Pummerin.“ Optimist Schreiner titelt: „Millionen von Österreichern hatten heuer im Sommer keine Schlange am WC!“

Zum Tränenlachen ist auch der eigene Theologie-auf-Lehramt-Humor, das Optimismus-Gedankenexperiment auf dem Markusplatz in Venedig und wer ein Mitbringsel für Schreiners nächste Party braucht: Chutney!

Eines hat dem Abend aber definitiv gefehlt: Beim fast begeisterten Macarenatanzen lässt Schreiner in jeder Richtung den Move „Hände auf den Hinterkopf“ aus. Das tut sogar eingefleischten Gruppentanzverweigerern etwas weh. Na vielleicht bei den nächsten Krisenfesten: Im Oktober und Dezember jeden Mittwoch im Niedermair! Große Empfehlung!!

Kabarettherbst wird lustig und traurig

Es gibt Abende, da bekommt man unfassbar viel zu sehen. Die Aufsperrfeste im Kabarett Niedermair zählen dazu. Gestern etwa standen Sonja Pikart, Christoph Fritz, Michael Großschädl, Clemens Maria Schreiner, Hosea Ratschiller, Martin Kosch, BlöZinger, Malarina, Der Matatschek, Blonder Engel, Benedikt Mitmannsgruber, Josef Jöchl und Flüsterzweieck auf der Bühne. Geboten wurde ein mehrstündiger Pointen-Marathon (Geschichte über die Ofen-Paarung des Johannes, Lieder über Klumpert…) – und ein Überblick über die kommende Kabarettsaison. Leider auch ein Ausblick auf den Corona-Herbst. Die Buchungslage in den kleinen Häusern ist bescheiden, selbst bei Premieren. Auftritte werden bereits wieder abgesagt. Es wird wohl ein sehr lustiger und gleichzeitig trauriger Kabarettherbst. Tipp: Heute ist der zweite Tag des Aufsperrfests.

Heimische Kabarettstars geballt und nah erleben im Kabarett Niedermair

Berni Wagners Bio-Kabarett

Als die Kabarettbühnen geschlossen waren, trat Berni Wagner im Autokino auf – „ein Klima-Benefizabend!“ Nun holte der 29-Jährige die Wien-Premiere seines vierten Soloprogramms „Galápagos“ (Regie: Philipp Vollnhofer) im Kabarett Niedermair nach. Der studierte Biologe hinterfragt darin bequeme Meinungen und vermeintliche Lösungen in der Klimadebatte. Bioläden vergleicht er mit rätselhaften Escape-Rooms: Artgerecht? Regional? Bio? Was soll das eigentlich bedeuten? Was ist OK? Und warum versuchen wir, den Handel daran zu hindern, uns zu Komplizen des globalen Verbrechens zu machen? Die bessere Frage wäre doch: Warum darf der Handel das überhaupt?

Berni Wagner im "Tarnanzug für einen eckigen Wald"
Berni Wagner im „Tarnanzug für einen eckigen Wald“

Wagner fürchtet, dass wir als jene Generationen in die Geschichte eingehen, „die lieber den Rest ihres Lebens Bäche schwitzen, als dass sie sich kurz aus dem Lieblingssessel hochhieven, um die Heizung runterzudrehen.“ Aber was passiert, wenn unsere Beziehung mit der Erde in die Brüche geht? Schon bei der unbedeutenden Affäre mit dem Mond haben wir „elf Missionen gebraucht, um unseren kleinen Astronauten hochzukriegen.“

Fazit: Blitzgescheit, skurril und unglaublich unterhaltsam bringt Berni Wagner die Klimakrise auf die Bühne. Er schafft es, von Mutantenwölfen aus Tschernobyl, veganen Bio-Dino-Chicken-Nuggets und der Promenadenmischung Mensch zu erzählen – und zwar so, dass alles Sinn ergibt. Nachhaltiges und gut konsumierbares Bio-Kabarett!