RaDeschnig spielen bis zum Untergang

Draußen Untergang, drinnen Unterhaltung: Was das Streichquartett auf der Titanic vorgemacht hat, führt das Kabarettduo RaDeschnig nun heldenhaft fort. Im neuen Programm „Säulenheilig“ sitzen die beiden Zwillingsschwestern Nicole und Birgit RaDeschnig jede aktuelle (und politische) Katastrophe aus. („Unsere Sitze werden besser, unsere Haltung schlechter.“)

Sie nehmen Klarinette, Akkordeon und Lachsbrötchen zur Hand – und schwimmen synchron durch den Pädagogik- und Pfegebereich („Mir geht die Luft aus“). Sie tragen Mikrodramen vor – etwa zum Thema Artensterben („Auster-Traum“) und zeigen auf, wo Kinder abstürzen („Schaukel, Fenster, Mittelstand“). Vom Geflügel-Charity-Clubbing („Ente gut, alles gut“), einer solistisch virtuos vorgetragenen US-Hymne für Celebreties im Gailtal („Sie waren da, der Winter nicht“) bis zum Gemeinschafts-Pop-Projekt „Austria for heritage“ („Wenn der Nachlass nachlässt“) – RaDeschnig geben für ihr Publikum alles!

Fazit: Sie sind Heldinnen, wie wir sie spätestens seit der Pandemie kennen. Als systemrelevantes Kabarettduo, das sich in den Dienst der guten Sache stellt, bekommen Nicole und Birgit RaDeschnig nun endlich das, was sie verdienen: Applaus!

Synchronschwimmen im Kabarett Niedermair – Nicole und Birgit RaDeschnig (Regie: Magda Leeb)

Maria Muhar: Überleben mit Galgenhumor

In „Storno“ spielt Maria Muhar mehr oder weniger sich selbst. Die 36-Jährige arbeitet an einem Roman – und hält sich mit Gastrojobs und AMS finanziell über Wasser. „Ein Steuerberater ist eigentlich ein Bildhauer. Du bringst ihm einen Haufen Schrott und er macht dir daraus ein abstraktes Kunstwerk!“

Während sie in der Nacht mit Energiedrink in der Hand die schlafenden Kinder ihrer Freundin hütet, erzählt sie von Catcalling, Frauenärztin, Politik („Die ÖVP hasst Frauen, aber Flüchtlinge noch mehr…“) und Überforderung. „Ist das Leben zu kurz um Kinder zu kriegen oder zu kurz, um keine zu kriegen?“ Wer sich dafür entscheidet, brauche blinden Optimismus und Gelassenheit. „Einfach mal gechillt vermehren – zwischen Apokalypse, Patriachat und Atomkrieg.“

Fazit: Maria Mahur bringt mit „Storno“ im Kabarett Niedemair ein brutal gutes Theaterstück auf die Kabarettbühne – mit Galgenhumor und fesselnder Geschichte, bei der nicht klar ist, ob sie gut ausgeht. „Irgendwann kommen sie mir drauf“, sagt Muhar nachdenklich. Man möchte ergänzen: „Wie großartig ihr Debüt ist!“

Im echten Leben hochoffiziell Künstlerin: Maria Muhar hat neben ihrem Kabarettdebüt gerade ihren Debütroman „Lento Violento“ im Verlag Kremayr und Scheriau veröffentlicht.

Chrissi Buchmasser: Lustiger als jeder Zipfel

Fast hätte es Jungmama Chrissi Buchmasser nicht zu ihrer eigenen Kabarett-Premiere ins Niedermair nach Wien geschafft. „Ich kann den armen Scheißer ja nicht allein zuhause lassen – mit unserem Baby!“ Also muss der Tontechniker während der Vorstellung den Babysitter spielen.

„Braves Kind“ nennt die 33-jährige Grazerin ihr Debütprogramm. Dabei erzählt sie schonungslos die Wahrheit übers Kinderkriegen und die Folgen – für Mütter. Mit Gitarre in der Hand stellt Buchmasser die richtigen Fragen: „Wenn in Bilderbüchern nur Vater und Kind vorkommen – warum denke ich dann automatisch, dass die Mutter tot sein muss? Warum heißt es Frauenfußball und nicht Fußball? Warum sind im Fernsehen beim Kabarettgipfel noch immer fast nur Zipfel zu sehen?“

Fazit: Ab sofort sollte für werdende Eltern neben dem Geburtsvorbereitungskurs eine Vorstellung von „Braves Kind“ verpflichtend sein. Sie werden Humor dringend brauchen. Auch allen anderen sei das Programm empfohlen. Chrissi Buchmasser schafft es, das körperlich, gesellschaftlich und politisch heikle Thema Kinder authentisch, sympathisch und lustig auf die Bühne zu bringen. „Werdet jetzt Fan, bevor ich Mainstream bin.“

Chrissi Buchmasser liebt ihren einjährigen „Christus“ – und singt ihm Kinderlieder im Stil von Pizzera & Jaus, Bilderbuch, Wanda und Helene Fischer vor.

Der Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber

Von der Kreuzfahrtschiff-Bar „Alk-Aida“, wo sich schon einige „weggesprengt“ haben, bis zur „Ofen-Paarung des Johannes“: Benedikt Mitmannsgruber setzt auch in seinem zweiten Kabarettprogramm „Der seltsame Fall des Benedikt Mitmannsgruber“ (Regie: Petra Dobetsberger) stark auf Wortwitze. Natürlich sind auch sein Schnauzer, der Norweger-Pullover und – leider – die Powerpoint-Präsentation wieder mit dabei.

Mitmannsgruber spielt den gleichnamigen Antihelden aus dem Mühlviertel, der nicht erwachsen werden will. („Meine Mama hat die Unterhose gewaschen, ich bin erst 26 Jahre alt“). Er berichtet von seinem Heimatort, in dem es einen „klassischen Rassisten-Überschuss“, aber keine Ausländer gibt („Sehr viel Nachfrage, kein Angebot.“), von folgenreichen Fehlern ärztlicher Ferndiagnosen und öffnet dem Publikum mit Verschwörungstheorien die Augen. „Wacht auf!“ Top: Selbst in Coronazeiten kann nur empfohlen werden, sich in sein „ungetestetes“ Programm zu wagen, auch wenn er selbst „noch nicht lange am Markt ist“. Der Tagespresse-Autor bringt böse Pointen und Wortwitze im Zwei-Satz-Rhythmus. Ein Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber!

Benedikt Mitmannsgruber bei seiner Wien-Premiere im Kabarett Niedermair: „Wie nennt man im Mühlviertel Veganer? – Trottel.“

Sophia Blenda: Traurig schöne Lieder

Sie gehört zu den aktuell spannendsten Stimmen der heimischen Popszene: die Wiener Sängerin Sophia Blenda. Bisher als Frontfrau der Band Culk bekannt, präsentierte sie nun ihr erstes Soloalbum „Die neue Heiterkeit“ im Volkstheater. Ihre Lieder sind allerdings alles andere als heiter, sondern eher Gedichte mit schweren Themen: Sophia Blenda singt über Unterschiede und Hürden, sexuelle Gewalt, das „politische Kleidungsstück“ BH, aber auch über das Händereichen innerhalb der Familie und das Überwinden von Ängsten. Fazit: Sophie Blenda ist eine Poetin mit unglaublicher Stimme und traurig-schönen Liedern. Anhören!

Poetische Texte mit dunkler Klaviermusik: Sophia Blenda in der Roten Bar des Volkstheaters

Circus Roncalli – Eintauchen ins Wunderland

Welch Freude! Ein Zirkus ausnahmsweise vor dem Rathaus! Und was für einer – der Circus Roncalli, laut New York Times „der schönste Zirkus der Welt“. Historische Zirkuswägen und Kostüme, Clowns und Live-Orchester, Hologramme statt Tiere, die Mischung zwischen Nostalgie und Spektakel – das alles kann schon was.

Für die Vorstellungen in Wien hat Zirkusprinzessin Lili Paul-Roncalli eine neue Tanznummer auf einem Billard-Tisch einstudiert. Publikumsliebling bei der Premiere am Mittwoch war allerdings der junge Clown Chistirrin aus Mexiko, der mit dem Mund Tischtennisbälle jongliert – und zum Glück dabei nicht erstickt. Standing Ovations gab es für die Acero-Brüder aus Kolumbien, die auf einem Podest mit einem unglaublichen Kopfstand begeistern. „Kopf an Kopf“ bekommt hier eine neue Bedeutung. Fazit: Wer in die wunderbare Welt des Circus Roncalli eintaucht, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus.

Prominente Showeinlage am Billard-Tisch von Lili Paul-Roncalli
Die Liebe zum Detail machen die Zirkusstadt Roncalli zum Erlebnis

Romeo Kaltenbrunner regt sich auf

Romeo Kaltenbrunner muss raus aus der Wohnung. Seine reiche Wiener Freundin hat sich vom zugezogenen Oberösterreicher getrennt. Die Unterschiede waren zu groß. „Sie hat immer gemeint, ich sudere zu viel. Dabei rege ich mich nur gelegentlich auf. Das ist etwas ganz anderes. Sudern ist ein Brainstorming. Da überlege ich laut vor mich hin, worüber ich mich aufregen könnte. Beim Aufregen picke ich mir maximal zwei Themen raus, untermauere sie mit recherchierten Fakten, gebe noch Emotionen und Selbsterlebtes dazu. Das ist höchst wissenschaftlich!“

Kabarettist Romeo Kaltenbrunner regt sich in seinem ersten Soloprogramm „Selbstverliebt“ herrlich unterhaltsam auf – etwa über die Unterschiede zwischen Land und Stadt („Dinge, die man nur in der Stadt braucht: Individualtität, Führerschein, FFP2-Maske…“) oder über die Fragen nach seiner Herkunft bei Bewerbungsgesprächen („Bei den ‚österreichischen‘ Produkten im Regal nimmt es die Lebensmittel-Handelskette auch nicht so genau. Da wird die Willkommenskultur gelebt“). Fazit: Ein großartiges Debüt! Besonders für Landmenschen, die in die Stadt gezogen sind – sehr empfehlenswert!

Romeo Kaltenbrunner – der Sieger der Ennser Kleinkunstkartoffel 2022 – hat im Kabarett Niedermair sein erstes Soloprogramm „Selbstverliebt“ auf die Bühne gebracht

Berührender Klavier-Klang ohne Kulisse

Per Shuttelbus vom Wiener Musikverein nach Grafenegg. Angenehme 20 Grad, kein Regen, kaum Wind. Obwohl es die Wolken gut meinten, wurde das Konzert des Pittsburgh Symphony Orchestra kurzfristig vom Wolkenturm nach drinnen ins Auditorium verlegt. Klang ohne Kulisse. Turnsaal statt Turm. Jene mit günstigen Karten hatten die Wahl: aufzahlen oder das Konzert per Videowall in der Reithalle verfolgen.

Wolken über dem Wolkenturm in Grafenegg (Niederösterreich)

Das Highlight des Abends: Die französische Pianistin Hélène Grimaud spielte Maurice Ravels Klavierkonzert G-Dur. Vor allem das Adagio berührte. Das Pittsburgh-Orchester setzte Opernmusik von Richard Strauss drauf – genauer gesagt die von Dirigent Manfred Honeck arrangierte Elektra-Suite. Honeck hoffte, „dass durch diese Symphonische Suite die rohe Kraft und Tragik der Geschichte von Elektra lebendig wird“. Das tat es. Bei der Zugabe Gymnopedie No. 1 von Erik Satie aus dem Film „What lies Beneath“ zeigte das amerikanische Spitzenorchester, dass es auch zart und leise spielen kann. Langer Applaus!

Hélène Grimaud begeisterte mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra im Auditorium

Stadionkonzert und Dosenbier: The Rolling Stones in Wien

„Gehen wir Stones schauen, bevor es zu spät ist“, war das Motto vieler Fans, die am Freitag ins Ernst-Happel-Stadion pilgerten. Zum 60er-Bandjubiläum gaben The Rolling Stones ein Best-of-Konzert – und mit einem Ticket ab 130 Euro konnte man dabei sein. Es wurde viel geboten: Bilderbuch spielte als Vorband. Als Vorband! Frontman-Legende Mick Jagger (78) war topfit und bestens gelaunt, ebenso sein „Hawara“ Keith Richards (78). Die Akustik im Stadion war erstaunlich gut, ukrainische Kinderchöre traten auf und das Finale wurde gekrönt mit „(I Can’t Get No) Satisfaction“. Die Fans, die fast alle „Zungen-T-Shirts“ trugen, waren begeistert. Sogar schon vor dem Konzert – denn Mick Jagger gab sich volksnah, winkte seinen Hardcore-Fans vor dem Imperial-Hotel, posierte mit einer Dirndl-Poltergruppe im Burggarten und trank Dosenbier am Würstelstand bei der Albertina. „Thanks for a great night Vienna“, freute sich Jagger. Sehr sympathisch!

The Rolling Stones begeisterten in Wien rund 56.000 Fans

Buchbinder und der perfekte Klang

Wenn jemand nicht in Pension gehen darf, ist das Rudolf Buchbinder: Der 75-jährige Starpianist spielte diese Woche gemeinsam mit den Wiener Symphonikern und Dirigent Lionel Bringuier das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 von Johannes Brahms im Wiener Konzerthaus. Ein unglaublicher Hörgenuss! Was hinter so einem Klavierkonzert und Live-Klangerlebnis steckt, kann man übrigens in der Dokumentation Pianomania – die Suche nach dem perfekten Klang sehen, in der auch Buchbinder eine Rolle spielt. Top auch das zweite Stück des Abends: Brahms 1. Symphonie, an der er 14 Jahre lang gearbeitet haben soll – und in der man kurz Beethovens „Ode an die Freude“-Thema hört.

Buchbinder am Flügel im Wiener Konzerthaus