Ganymed: Die Macht ist stark im KHM

Die Premiere ging sich 2020 kurz vor Corona noch aus. Eineinhalb Jahre musste „Ganymed in Power“ dann aber warten, bis es diese Woche endlich zur Wiederaufnahme der 7. Auflage des beeindruckenden Kunstformats kam. Autorinnen und Komponisten waren wieder angehalten, die Alten Meister im Kunsthistorischen Museum Wien neu zu interpretieren – nach Natur und Liebe war das Thema diesmal Macht. Egal, bei welchem der zwölf Acts man seinen Klapphocker an diesem Abend aufstellt, man erlebt die Gemälde mit völlig anderen Augen… und Ohren!

Ganymedinpower
„Alle Kinder, die jetzt geboren werden, kennen keine Welt ohne Corona“, überlegt Manaho Shimokawa.

Neben der abgestimmten Glitzerkleidung der Künstler fallen dieses Jahr besonders die ausgefallenen Instrumente auf: Ist es eine Mini-E-Geige oder doch eine Gitarre, der Matthias Jakisic diese Töne entlockt? Er begleitet Peter Wolf beim Sinnieren über Pinot Noir. Vor dem Rubens-Gemälde „Cimon und Efigenia“ wird eine Gitarre mit zwei Hälsen bearbeitet und neben dem Mini-Bild „Maria mit Kind“ liefert eine Drehleier den Soundtrack zu den Freuden und Ängsten einer tatsächlich hochschwangeren Manaho Shimokawa. Das Instrument am Schoß von Verena Zeiner kennt man schließlich: Mit Keyboard begleitet sie einen Stopp Motion-Film über den Baby-Drachen, dessen Papa vom Heiligen Georg am Gemälde nebenan erstochen wurde.

Ganymedinpower
Schräge Gitarre und schräger Gesang zu Peter Paul Rubens.

Absolutes Highlight: „Blech und Tizian“. Die Musiker Martin Eberle und Martin Ptak sind zwar schon Ganymed-erprobt, mit Trompete, Posaune und Klavier heuer aber besonders gefordert. Ihre mächtigen Blech-Episoden sind auch vor dem Besuch beim Tizian-Gemälde den ganzen Abend immer wieder durch die gesamte Gemäldegalerie zu hören.

Man hat wie immer nur bis 22:00 Uhr Zeit, sich alle Darbietungen zu geben. Wer sich zum Hirn-Auslüften zwischendurch in der Kuppelhalle den Pinot Noir gönnen will, den Mikael Torfason in seinem Text verherrlicht, muss jedenfalls auf den einen oder anderen Act verzichten. Fazit: Berührt, bewegt, begeistert und ein wenig ausgepowert nimmt man vor dem Museum schließlich die Maske ab. Ganymed ist jedes Mal ein Genuss! Bis Ende August gibt es noch 15 Termine.

Ganymedinpower
Der Text zu Pieter Bruegels „Die Kinderspiele“ geht besonders unter die Haut.
Ganymedinpower
Christian Nickel schreckt in der Nacht hoch, weil er vom mächtigen weißen Pfau träumt.
Ganymedinpower
Ob Gold oder Silber: Die Künstlerinnen und Künstler glitzerten diesmal um die Wette.

Kunstvolle Liebe im Caritas-Lager

Giftige Schlangen, abgehackte Köpfe, nackte Körper: Oftmals kann man mit den historischen Gemälden im Kunsthistorischen Museum nicht viel anfangen. Um das zu ändern, stehen beim Ganymed-Projekt Künstlerinnen und Künstler vor den Werken und tragen Texte vor, musizieren, singen und tanzen. Die Gemälde erwachen sozusagen zum Leben. Dass diese Performances auch in anderem Ambiente funktionieren, zeigte sich am Donnerstag. Statt im Museum fanden sie in den Hallen des Carla Mittersteig statt.

Mira Lu Kovacs im Carl

Gänsehaut, wenn Mira Lu Kovacs im Caritas-Lager ihre Stimme erhebt.

Liebe und Geld gespendet
Zwischen gespendeten alten Büchern, Möbeln und Spielzeug wurde das Thema Liebe in sämtlichen Facetten behandelt. Das passt gut, immerhin bedeutet Caritas wörtlich übersetzt Liebe. Und es erzeugt auch eine besondere Stimmung, wenn abends zwischen Flohmarktware kunstvoll Geschichten erzählt werden. Fazit: Ganymed funktioniert nicht nur im elitären Kunstraum, sondern auch im echten Leben außerhalb der Museumsmauern. Den gleichzeitig ablaufenden Aufführungen hätte zwar ein bisschen mehr räumlicher Abstand gut getan, die Idee der Zweitverwertung von Ganymed in Love im Second-Hand-Laden ist aber prinzipiell eine geniale und ausbaufähige Idee. Hier wurde Liebe geschenkt – in Form von Kunst und Spendengeldern.

Nachts im Museum: Die Höhepunkte von Ganymed in Love

Wenn man in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums gemütlich am Boden, am Klappsessel oder auf der Couch sitzt und Musikern wie Schauspielern gebannt zuhört, wie sie Kunstwerke von Rubens, Caravaggio und Co. mit neuen Texten und Musik zum Leben erwecken… Das ist Ganymed! Dieses Jahr drehte sich alles um die Liebe.

Überraschend, beeindruckend, verstörend – die Highlights von Ganymed in Love:

MIra Lu Kovacs vor Rubens' das Haupt der Medusa

Wenn Mira Lu Kovacs ihre großartige Stimme beim schaurigen Lied von Henry Purcell erhebt, kriecht das Haupt der Medusa quasi aus Rubens‘ Gemälde.

Johanna Prosl und Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers

Das kleine Mädchen im Pyjama mit dem Teddy in der Hand erwischt seinen Vater mit heruntergelassener Hose vor dem Bildschirm mit eindeutigem Inhalt. Da bleibt einem kurz die Spucke weg. Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers ist ab jetzt wohl für immer die kleine Billie.

Adam und Eva alias Martin Ptak und Benny Omerzell

„Adam und Eva“ spielen ein geniales vierhändiges Klavierstück vor Hans Memlings gleichnamigem Bild.

Performance vor Caravaggios Rosenkranzmadonna

Jean Philippe Toussaint fragt sich, was in Caravaggios Rosenkranzmadonna die vielen Hände sagen wollen. Vielleicht könnte jemand, der mit Gebärdensprache vertraut ist, das entziffern? Und so wird sein Text „Die Hände“ von vier Personen mit aufgeregten Gebärden unterstützt – Action pur.

Martin Eberle und Manaho Shimokawa

Die Hl. Margarete von Raffael hat Martin Eberle zum torch song inspiriert. Klemens Lendl von den Strottern spielt die Geige und lässt sich bei der schrägen Nummer von Manaho Shimokawa mit Ausdruckstanz und langen Haaren einhüllen.

Manu Mayr vor Bruegel-Gemälden

Auf Klarinetten-Seufzer und Kontrabass-Gekrächze folgt beim Stück „A Place in the Heart“ imitiertes Babygeheul und orientalische Musik. Da tut man sich schwer, die Verbindung zu Bruegels Bauernhochzeit herzustellen.

Rania Ali vor der Kirschenmadonna

Rania Ali fragt vor Tizians Kirschenmadonna Leute aus dem Publikum direkt: „Do you know what love is?“, „Mothers love is always stronger, right?“, „Do you love yourself?“. Über eine der Erdbeeren – ein Symbol der Liebe – darf sich am Ende der Performance eine Dame aus dem Publikum freuen.

Schauspieler Peter Wolf und das Gleichnis vom verlorenen Sohn

Schauspieler Peter Wolf erzählt im roten Jogger, was sich der Wiener Philosoph Franz Schuh zum Gleichnis vom verlorenen Sohn überlegt hat. Wie soll ein Vater zum Sohn sein? Gütig, streng, züchtigen? „Aus menschlicher Sicht müssen auch für den Großen Gott die Möglichkeiten, seine Kinder falsch zu erziehen, unendlich sein. Der Sohn Gottes ist für uns am Kreuz gestorben – das ist keine Kleinigkeit und es ist keine Kleinigkeit, einen solchen Tod für das Richtige zu halten.“

Besucherinnen vor Bruegels <em>Bauernhochzeit</em>

Nach Ganymed lässt es sich ganz anders über die Gemälde der großen Meister diskutieren!

Großes Theater in der Gemäldegalerie

Zwei bis vier Sekunden verbringen Museumsbesucher durchschnittlich vor einem Bild. Das erscheint gerade bei den riesigen Gemälden im Kunsthistorischen Museum Wien erschreckend wenig. Nicht so beim Projekt Ganymed Nature. Die Idee ist so einfach wie genial: Schriftsteller und Komponisten suchen sich ein Bild in der Gemäldegalerie aus und schreiben darüber – einen Text oder ein Musikstück. Schauspieler und Musiker geben die Werke direkt vor den jeweiligen „Quellen“ zum Besten.

Ganymed1

Und so strömen bei einer Vorstellung rund 700 Besucher ausgerüstet mit Klapphocker und Plan  durch die beeindruckenden Hallen des KHM und erleben, wie Katharina Stemberger Rubens‘ „Venusfest“ in allen Details zerlegt und als Speckfaltenexplosion bezeichnet (der Text stammt von Eva Menasse), die Strottern auf der Klimtbrücke singen „mogst schaun, weil ma vo da Weitn jo nix siacht“ und Peter Wolf vor Sandrarts‘ „Fischmarkt“ erzählt, wie Hummer gefangen, bei lebendigem Leib in den Topf geworfen und gepeinigt werden. Groß und Klein, Jung und Alt lauschen wie Kinder bei einer Märchenstunde – mit großen Augen und voller Spannung. Besonders bei der Station vor Gentileschis „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ ist die Stille praktisch greifbar. Da liegt Josef erschöpft auf dem Boot und vor ihm erzählt die 20-jährige Rania, die aus ihrer Heimat Kobane in Syrien geflohen ist, dass Ruhe ein wesentliches Element auf der Flucht ist…

Wer mit den üppigen, scheinbar immer gleichen Gemälden der Alten Meister voller Nackter und anderer Grauslichkeiten in der Gemäldegalerie bislang nichts anzufangen wusste, der wird sie nach Ganymed nicht nur schätzen und lieben, sondern mit völlig anderen Augen sehen. Und das unweigerlich länger als wenige Sekunden.