Es ist dunkel, ruhig und fast ein bisschen unheimlich: Wer abends die Geblergasse in Wien-Hernals entlangspaziert, würde nie vermuten, dass hinter einer dieser unscheinbaren Mauern mit Geigen, Celli und Klavier gerade ein klassisches Konzert erklingt. Der REAKTOR bietet dem Alban Berg Ensemble immer wieder einen einzigartigen Rahmen für Streichkonzerte. Wie diese Woche das „Bergfest“: ein Festival, drei Konzerte, je vier Stücke von Brahms bis Berg, von Schubert bis Schönberg. Das Highlight am Freitagabend mit Nocturnes und anderen Werken rund um das Thema Nacht: Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“. Vergesst Netfilx und Co., nach einer langen Woche gibt es nichts Schöneres zum Entspannen als Klavier und Cello! Beim Zurückgehen ist die Geblergasse viel heller.
Puristisch-leer und doch pompös-feierlich, Betonlook-kalt und doch Streicherklang-warm: Der REAKTOR hat eine ganz besondere Atmosphäre.
„Elapetsch, Tod“ singt Willi Resetartits. Noch ist es nicht so weit, noch steht der 72-jährige Entertainer mit seiner Band Stubnblues quicklebendig auf der Bühne, singt, springt und begeistert mit kräftigen Mundharmonika-Soli. Nur bei den Moderationen will er nicht mehr so recht auf „Betriebstemperatur“ kommen. „Mein Kopf spielt mit mir“, gesteht Resetarits dem Publikum bei der Albumpräsentation im Stadtsaal. Buchstabenverdreher sind keine geplanten Gags mehr, Textzeilen gehen verloren und die Erinnerung lässt nach. „Ich sag die Lieder lieber an, wenn sie schon vorbei sind, da fällt mir mehr dazu ein“, „Hören Sie selbst, ich finde die Worte nicht“, „Ich hab einen Text beim Zusammenräumen gefunden. Wobei, ich hab nicht zusammengeräumt, ich hab etwas gesucht.“ Doch bei Resetarits klingen selbst diese sympathischen Erklärungen wie kunstvolle Poesie. Den Konzertabend im Stadtsaal beendete er nach zwei Zugaben mit den Worten: „Ich muss jetzt gehen, ich muss Lulu.“
Legende Willi Resetarits mit seiner genialen Band „Stubnblues“ im Wiener Stadtsaal
Gustav Mahlers dritte Sinfonie ist nichts für schwache Nerven. Nicht nur für die Orchestermusiker gibt es kaum Zeit zum Ausruhen, auch als Zuhörerin ist man ständig gefordert. Nie darf man sich einer Klangwelt sicher sein. Innerhalb weniger Takte ist man vom Vogelgezwitscher bei der Marschkapelle, vom filigranen Oboen-Solo beim epischen Filmsoundtrack angelangt. Erkennt man gerade ein Motiv in den Holzbläsern wieder, grätschen die Streicher wild hinein. Grandios!
Die Wiener Symphoniker begeisterten mit diesem Meisterwerk der Spätromantik gestern am zweiten Abend in Folge das Konzerthaus-Publikum im Großen Saal. Dem Orchesterklang (besonders die Blechbläser kommen bei Mahler ordentlich dran und liefern auf Weltklasseniveau ab), den Soli (unglaublich, dass eine Posaune so klingen kann) und der Chor-Kombi (die Wiener Sängerknaben und die Damen der Wiener Singakademie strahlen glockenhell) stahl aber beinahe jemand anderer die Show: Dirigent Andrés Orozco-Estrada. Man würde jedes Detail der Musik hören, sähe man nur ihm alleine zu. Besonders im tänzerischen zweiten Teil wollte man am liebsten mittanzen: ein Hüftschwung zum Niederknien.
Kleines Detail für die Geschichtsbücher: Da es der erste Tag war, an dem nur geimpfte und genesene Gäste zugelassen waren (2G-Regel), durfte man erstmals seit Pandemiebeginn ohne Maske im Saal sitzen: das i-Tüpfelchen auf diesem Konzertgenuss!
Großartig gespielt: Diese 2G gelten im Großen Saal immer.
Die Premiere ging sich 2020 kurz vor Corona noch aus. Eineinhalb Jahre musste „Ganymed in Power“ dann aber warten, bis es diese Woche endlich zur Wiederaufnahme der 7. Auflage des beeindruckenden Kunstformats kam. Autorinnen und Komponisten waren wieder angehalten, die Alten Meister im Kunsthistorischen Museum Wien neu zu interpretieren – nach Natur und Liebe war das Thema diesmal Macht. Egal, bei welchem der zwölf Acts man seinen Klapphocker an diesem Abend aufstellt, man erlebt die Gemälde mit völlig anderen Augen… und Ohren!
„Alle Kinder, die jetzt geboren werden, kennen keine Welt ohne Corona“, überlegt Manaho Shimokawa.
Neben der abgestimmten Glitzerkleidung der Künstler fallen dieses Jahr besonders die ausgefallenen Instrumente auf: Ist es eine Mini-E-Geige oder doch eine Gitarre, der Matthias Jakisic diese Töne entlockt? Er begleitet Peter Wolf beim Sinnieren über Pinot Noir. Vor dem Rubens-Gemälde „Cimon und Efigenia“ wird eine Gitarre mit zwei Hälsen bearbeitet und neben dem Mini-Bild „Maria mit Kind“ liefert eine Drehleier den Soundtrack zu den Freuden und Ängsten einer tatsächlich hochschwangeren Manaho Shimokawa. Das Instrument am Schoß von Verena Zeiner kennt man schließlich: Mit Keyboard begleitet sie einen Stopp Motion-Film über den Baby-Drachen, dessen Papa vom Heiligen Georg am Gemälde nebenan erstochen wurde.
Schräge Gitarre und schräger Gesang zu Peter Paul Rubens.
Absolutes Highlight: „Blech und Tizian“. Die Musiker Martin Eberle und Martin Ptak sind zwar schon Ganymed-erprobt, mit Trompete, Posaune und Klavier heuer aber besonders gefordert. Ihre mächtigen Blech-Episoden sind auch vor dem Besuch beim Tizian-Gemälde den ganzen Abend immer wieder durch die gesamte Gemäldegalerie zu hören.
Man hat wie immer nur bis 22:00 Uhr Zeit, sich alle Darbietungen zu geben. Wer sich zum Hirn-Auslüften zwischendurch in der Kuppelhalle den Pinot Noir gönnen will, den Mikael Torfason in seinem Text verherrlicht, muss jedenfalls auf den einen oder anderen Act verzichten. Fazit: Berührt, bewegt, begeistert und ein wenig ausgepowert nimmt man vor dem Museum schließlich die Maske ab. Ganymed ist jedes Mal ein Genuss! Bis Ende August gibt es noch 15 Termine.
Der Text zu Pieter Bruegels „Die Kinderspiele“ geht besonders unter die Haut.
Christian Nickel schreckt in der Nacht hoch, weil er vom mächtigen weißen Pfau träumt.Ob Gold oder Silber: Die Künstlerinnen und Künstler glitzerten diesmal um die Wette.
Dort, wo eben noch blanke Handflächen über die Trommeln flogen, war plötzlich ein Drumstick im Spiel. Singular. Zwei wären normal, einer ist Jazz. Willkommen im Wiener Konzerthaus, wo gestern das US-amerikanische Brad Mehldau Trio mit Eigenkompositionen, aber auch Beatles- oder John Coltrane-Covers begeisterte. Von Beginn an war den Gesichtern der Gäste trotz FFP2-Maske die Euphorie abzulesen – zu lange die Abstinenz eines echten Klangerlebnisses. Live-Streams sind eben nicht Live-Musik!
Brad Mehldau am Klavier, Larry Grenadier am Kontrabass, Jeff Ballard am Schlagzeug: »The Art of the trio«
Die 3-G-Kontrolle am Eingang war ebenso schnell erledigt wie die Sitzplatz-Zuweisung. Das einfache Bühnenbild bot diesmal einen starken Kontrast zum pompösen Konzertsaal. Ein schwerer Vorhang verdeckte Gold und Marmor, setzte geschmackvoll ausgeleuchtet die drei Musiker aber perfekt in Szene. Was für Musiker! Beim Betreten der Bühne wirkten sie noch, als wäre es ihnen unangenehm, das Publikum bei seinen Gesprächen zu stören. Sobald sie ihre Instrumente ergriffen, war es vorbei mit der Bescheidenheit. Jeder Griff saß. Ob am Klavier, am Bass oder an den Drums: Die Musikerhände waren stets flinker als das Auge. Nicht nur einmal stellte man sich die Frage, woher dieser oder jener Klang auf einmal kam. Kein Duett, kein Solo, ohne, dass es die pausierenden Künstler nicht augenscheinlich in den Fingern juckte. Energie, die auf die Zuseher übersprang: schnippende Finger, wippende Beine, nickende Köpfe, Zwischenapplaus, Applaus. Endlich wieder!
Eine Party mit DJs im Lockdown? Ja, das geht, wenn das Publikum zuhause bleibt und nur per Stream mitfeiert. Steve Hope und Philipp Straub haben zwei Stunden lang auf der Dachterrasse einer Hotelbaustelle vor mehreren Kameras aufgelegt. Die Aufnahmen hat Wien-Tourismus als „Zeichen der Hoffnung“ hinaus in die Welt geschickt. Der Gastgeber, das Musikhotel Jaz in the City, will im Sommer in der Windmühlgasse eröffnen. Bis der internationale Tourismus zurückkehrt, setzt es auf musikliebende Einheimische: Die Lobby wird ein Schallplatten-Geschäft, die Zimmer dienen als Proberäume samt Plattenspieler und neben den Bars gibt es Bühnen für Liveauftritte – für die Zeit nach der Pandemie.
Steve Hope hofft auf baldige Rückkehr des Party-Nachtlebens
Singen wird in Corona-Zeiten häufig als gefährlich dargestellt. Sorgen, dass das Chorleben dadurch praktisch zum Erliegen kommt, sind sicher berechtigt. Hoffnung bereiten dieser Tage Chorkonzerte wie jenes der Wiener Singakademie, die Antonín Dvořáks Messe in D-Dur mit Robert Kovács an der Orgel im Konzerthaus erklingen ließ. Dirigent Heinz Ferlesch war es, der nach dem Corona-Lockdown an vorderster Front gekämpft hatte, um Proben- und Aufführungspraxis nicht völlig im Keim ersticken zu lassen.
Mit durchdachtem Hygienekonzept und klaren Verhaltensregeln gelingt dies! Kleinere Besetzungen, längere Pausen zum Lüften, Desinfizieren von Sesseln und Notenständern, genau markierter Platz mit Abstand für jede Sängerin und jeden Sänger prägen etwa die Proben. Zum Konzert kommen die Musiker bereits mit Chorkleidung, das Umziehen wird auch hinterher auf Zuhause verlegt. Die Maske wird auf der Bühne erst am Platz abgenommen. Dass sich der große Aufwand lohnt, versteht sich von selbst! Besonders das Cum Sancto Spirito, das Hosanna und das Dona Nobis Pacem ließen einen im Großen Saal beglückt und dankbar zurücklehnen: Danke, dass es noch Chormusik gibt!
Abstand und Maske bis zum Platz gilt im Konzerthaus für den Chor genauso wie für die Besucher.
Am Wochenende war Donauinselfest, coronabedingt allerdings nur für rund tausend Fans pro Tag. Der Veranstalter verloste Platzkarten, für die man sich mit Namen, Geburtsdatum und Handynummer registrieren musste. Am Festivaleingang wurde Fieber gemessen, es herrschte überall Maskenpflicht – außer am zugewiesenen Sitzplatz. Vier Personen durften pro Bierbankgarnitur Platz nehmen. Aufstehen war nur erlaubt, um Getränke zu holen oder aufs Klo zu gehen. Tanzen? Mitsingen? Ja, aber nur am Tisch.
Donauinselfest 2020: Bierzelt-Stimmung ohne Zelt, dafür mit guter Musik.
Die Festbühne war in gewohnt riesiger Dimension aufgebaut. Dadurch hatte man das Gefühl, tatsächlich irgendwie am Donauinselfest zu sein. Mit Russkaja, Kreiml & Samurai, Mathea, Granada, Opus und Parov Stelar waren am Samstag Acts zu hören, die keine internationalen Bands vermissen ließen. Fazit: Das heurige Donauinselfest war kein riesiges Volksfest wie zuletzt, sondern ein gemütliches Sitz- und Fernsehkonzert. Das Livepublikum hatte vor allem eine Statistenrolle – aber dennoch eine Riesenfreude!
Headliner Parov Stelar heizte bei kühlen Abendtemperaturen mit Elektroswing ein
Es gibt Kirchen, die besondere Kunstwerke sind: farbenprächtig, hell, voller Skulpuren, Gemälde und Details. Dazu zählt die versteckte Peterskirche in der Wiener Innenstadt. Für die passende Sightseeing-Musik sorgen hier zusätzlich Orgelkonzerte. Für freiwillige Spenden spielen Organisten wie Mario Eritreo fast jeden Nachmittag eine Dreiviertelstunde lang bekannte Klassikwerke. Natürlich teilt man die Kirche mit Touristinnen und Touristen, die schnell ein Foto machen und wieder davoneilen. Davon darf man sich aber nicht ablenken lassen. Es ist beeindruckend, wenn Johann Sebastian Bachs Toccata in d-Moll oder Camille Saint-Saëns Karneval der Tiere von der Orgelempore dröhnt und den barocken Kirchenraum samt Kuppel erfüllt.
Die kunstvolle Orgel der Peterskirche zählt 34 Register
Der Reaktor in Hernals war in der Vergangenheit bereits ein Heuriger, ein Ballsaal, ein Lager, ein Ort für Boxkämpfe und Filmvorführungen. Seit der Sanierung vor zwei Jahren verbinden die denkmalgeschützten Säle wieder Alt und Neu – mit Ausstellungen und Veranstaltungen. Vielleicht hat sich das Alban Berg Ensemble Wien deshalb diesen spannenden Ort für sein neues Album samt Konzert ausgesucht.
Die sieben Musikerinnen und Musiker spielten Werke aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ein: Gustav Mahlers Adagio aus der Symphonie Nr. 10, Arnold Schönbergs Kammersymphonie und die Suite aus dem Rosenkavalier von Richard Strauss. Die Arrangements sind passend zum Reaktor voller Spannung – knapp vor der Explosion. „Es ist auch Musik zum Anschauen“, sagte Ö1-Moderator Albert Hosp bei der CD-Präsentation. Wenn wir Musik hören, fließt zwar die Zeit, aber wir können sie trotzdem wie ein Bild betrachten – und immer neue Details entdecken. Wie bei einem Wasserfall.
Das Alban Berg Ensemble präsentierte nicht nur seine CD, sondern spielte auch das 1. Streichquartett des iranischen Komponisten Armin Sanayei, das an Vogelgezwitscher erinnert. Das Publikum genoss das Konzert coronabedingt mit Abstand