Wer ist Josef Jöchl?

Josef Jöchl stellt sich nicht gerne vor. Bei der Premiere seines ersten Soloprogramms „Nobody“ im Kabarett Niedermair blieb ihm aber nichts anderes übrig: Der Angestellte geht auf die vierzig zu, hat fünf Geschwister, ist daher bei Autofahrten als Kind immer im Kofferraum gesessen und kennt Fernbedienungen nur mit Isolierband geklebt. Er trägt gerne weiß, kauft Anti-Aging-Cremen, bezeichnet „Who let the dogs out“ als sein Lieblingslied – und hat sich vor seinen Tiroler Freunden und Eltern schon früh geoutet. „Es stimmt, was die Leute sagen…“, hatte er zögernd gesagt. „Ich will nicht mehr Skifahren.“ Seine Mama hat nur ein bisschen geweint. Sie hätte gerne Enkelkinder gehabt, die gerne Skifahren.

Kurz vor dem zweiten Lockdown: Josef Jöchl feiert Premiere mit „Nobody“

Ständig muss man sich vorstellen: bei Bewerbungsgesprächen, bei Tinderdates, als Millionenshow-Kandidat und bei Feiern. („Früher hat es bei Partys unterschiedliches Knabbergebäck gegeben. Jetzt, in meinem Alter, nur noch Grissini.“) Doch wer ist man und ist das so wichtig? Glaubt man an Sternzeichen oder Psychotests, auch wenn sie einem nicht schmeicheln? Welche Pille würde man im Film „The Matrix“ nehmen?

Josef Jöchl liefert mit „Nobody“ eine lockere, unterhaltsame Vorstellung. Er erzählt von seinen Beziehungen, dass ihm Yoga geholfen hat, „vernünftige Intervalle zum Zehennägel-Schneiden zu finden“, und, dass man „weder ins Lebensmittelgeschäft einkaufen gehen soll, wenn man ein bisschen hungrig ist, noch in den Drogeriemarkt, wenn man ein bisschen schiach ist“.

Hip-Hop-Kabarett mit Schredder

„Ich hab den Text nicht vergessen – ich hab ihn eh mit!“, sagt David Scheid und blickt auf seinen Schummelzettel am Bühnentisch. Sein Kabarettprogramm „Entschuldigung, haben Sie auch 1 fetteren Beat?“ hat er schon länger nicht mehr gespielt. Am Samstag war es in der „Late Night“-Schiene des Kabarett Niedermairs wieder einmal so weit.

Scheid sei in seiner Kindheit wegen seines Nachnamens auch Fut genannt worden und schon als Baby mit Cloud-Rap in Kontakt gekommen. Seine Eltern hätten „Gucci, Gucci!“ in den Kinderwagen hineingesprochen. Der Hip Hop lässt ihn seither nicht mehr los und so steht er mit Plattenspielern auf der Kabarettbühne. Dabei erfährt sein junges Publikum, dass er in Niederösterreich assozialisiert worden ist und sich „Schau nie in den Keller“ rückwärts abgespielt anhört wie „Re leck mi in Oasch.“

Schredderaffäre auf der Bühne: David Scheid als Banksy des Kabaretts

Und es wird politisch: Scheid liest genussvoll-theatralisch aus der offiziellen Sebastian-Kurz-Biografie, schreddert die Seiten und „leakt“ ein geplantes Kinderlied der damaligen türkis-blauen Regierung, das in der Schule beim Buchstabieren-Lernen helfen hätte sollen. „A wie Abschiebung, E wie Einzelfall, H wie Hackerangriff, I wie Identitäre, L wie Liederbuch, M wie Misstrauensantrag, O wie Orbanisierung, R wie rechtsradikal, S wie schreddern, W wie Widerbetätigung…“ – gemixt mit Originaltönen aus den TV-Nachrichten. Fazit: Fette Late-Night-Unterhaltung – besonders, aber nicht nur für Hip-Hop-Fans. Noch eine Empfehlung: Weil David Scheid „sein Leben an den ORF verkauft hat“, ist er ab Oktober wieder in der Serie „Dave“ zu sehen, wie er versucht ein Instagram-Influencer zu werden.

David Kebekus: Jesus der Comedy

Der deutsche Comedian David Kebekus spielt seit vier Jahren sein Solokabarett „Aha? Egal.“ Am Dienstag feierte er damit vor rund 30 Personen Österreich-Premiere im Kabarett Niedermair. „Eigentlich sind wir heute ausverkauft, aber es sind nicht alle gekommen. Egal, Hauptsache bezahlt“, lautete einer der wenigen Corona-Witze des Abends.

Ansonsten drehen sich seine Themen um Bewährtes mit frischen Gags: Beziehungen („Wer Tandem fährt, sagt dem Partner eigentlich nur: Okay, machen wir einen Ausflug. Das einzige, was ich nicht sehen will, ist dein Gesicht.“), Erotik („Wenn man sich selbst dabei filmt und das Ergebnis sieht, merkt man erst, dass man durch die Blockbuster Besseres gewöhnt ist.“), Fußball („Sport-Redaktionssitzungen stell ich mir immer so vor: Hat sich was getan? Nein. Irgendwas mit Lionel Messi? Nein. Wechselt er zu Bayern? Nein. Das bringen wir groß!“), aber auch Aktuelles wie den Klimawandel („Plastikstrohhalme werden verboten. Brauchen wir Ersatz? Nein. Wozu braucht man einen Strohhalm – um aus der Mitte trinken zu können?“). Tritt Kebekus mit Bart und langen Haaren auf, wird er oft mit Jesus verwechselt. („So auszusehen ist nicht schwierig. Man muss nur warten. Früher sahen alle Männer so aus. Josef, Moses,… Um Jesus zu erkennen, hat man den Heiligenschein erfunden.“)

Fazit: Bekannter als David Kebekus ist eigentlich seine Schwester Carolin Kebekus. Wer weiß, wie lange noch. Denn der 36-Jährige bietet professionelle, abwechslungsreiche deutsche Comedy. Ein heiterer Abend!

David Kebekus wird „oft mit Jesus verwechselt“.

Heiße Pointen im Pullover

„Er ist vom Land, man kennts am Gsicht, man kennts am Gwand“ heißt es in einem Lied von Wolfgang Ambros. Mit diesem Klischee spielt der 24-jährige Kabarettist Benedikt Mitmannsgruber und präsentiert sich auf der Bühne als emotionsloser Lehramtsstudent aus dem Mühlviertel – mit Schnauzer und Norwegerpullover.

In seinem Debütprogramm Exodus erzählt er von seiner Heimatgemeinde Liebenau, der ständigen Kälte, einer alkoholsüchtigen und überalteten Bevölkerung, in der selbst 60-Jährige als große Nachwuchshoffnungen gelten – etwa in der jungen ÖVP. Er berichtet von seinem Opa, der kurz nach dem zweiten Weltkrieg nach Südamerika ausgewandert ist – wegen der Arbeit, und von seinem Papa, der an die tschechische Grenze „Heidelbeeren kaufen“ fährt, weil sie dort „unterm Strich“ billiger sind.

Mitmannsgruber überlegt, beim nächsten Programm einen neuen „Bartstyle“ auszuprobieren.

„95 Prozent der Liebenauer finden das Programm und mich überhaupt nicht lustig. Letztes Jahr habe ich eine Mixed-Show in meinem Nachbarort Weitersfelden organisiert. 200 Zuschauer waren da, in Liebenau wurden null Karten verkauft“, erzählt Mitmannsgruber. Bei Kabarettwettbewerben und in den Städten kommen seine bitterbösen Pointen aber bestens an, im Wiener Kabarett Niedermair etwa spielte er diese Woche vor ausverkauftem Haus. Höchste Zeit also, in ein zweites Bühnenoutfit zu investieren. „Es ist mir sehr peinlich. Aber ich habe wirklich nur den einen Pulli“, sagt Mitmannsgruber. „Ich sehe ihn als Glücksbringer und sprühe ihn vor jedem Auftritt mit Hugo-Boss-Deo ein. Das habe ich von Freunden aus Syrien bekommen. Die schenken mir zum Geburtstag immer ein Deo.“

Fazit: „Mitmannsgruber ist ein sehr weißer, heterosexueller Mann aus der Mittelschicht. Juhu, genau das hat dem österreichischen Kabarett noch gefehlt“, scherzt der 24-Jährige über sich selbst. Aber es ist was Wahres dran – und wer sein Programm Exodus gesehen hat, weiß auch, warum einem der Name Benedikt Mitmannsgruber danach nicht mehr aus dem Kopf geht.

Großschädl wird ein Großer

Wie wird das erste Kabarettprogramm in Österreich garantiert ein Erfolg? Vielleicht, wenn man Deutsche und Prominente auf die Schaufel nimmt. Das könnte sich Michael Großschädl gedacht haben, der im Kabarett Niedermair mit seinem Musikkabarett „Junge, lern doch einfach mal Deutsch!“ Wien-Premiere feierte. Der Schauspieler, Sänger und Pianist parodiert Falco, Dieter Bohlen, Arnold Schwarzenegger, Andreas Gabalier, Helene Fischer, Florian Silbereisen, Conchita Wurst, Hansi Hinterseer, Herbert Grönemeyer, Sepp Forcher, Elisabeth Engstler, HC Strache und viele mehr.

Hoch professionell: Großschädl kann sich jetzt schon mit großen Musikkabarettisten messen

Österreichischer „Bodo Wartke“

Weil der Grazer das wahnsinnig gut, sympathisch und originell macht, funktioniert es. Dazu kommen Pointen, die zwischen den Tönen fallen und fast untergehen: „Ich spiele das Lied in c-Moll. Das ist die zäheste aller Moll-Tonarten.“ Oder „Besucht doch meine Website unter www-michael-g-punkt-at!“ Fazit: Michael G. erinnert mit seinen gereimten Texten und schönen Klaviermelodien stark an den großartigen Bodo Wartke. Seinen eigenen Stil hat er noch nicht ganz gefunden. Wenn er das auch noch schafft, wird Großschädl ein ganz Großer werden.

Kabarett ist tot – ein Live-Podcast

Der vielversprechende Titel von Vitus Wiesers und David Stockenreitners erstem gemeinsamen Programm lautet „Kabarett ist tot – ein Kabarett.“ Der eine ist Schauspieler und erzählt, wie er in der Kinderserie „Tom Turbo“ Fritz Fantom gespielt hat – oder auch in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ einen Kellner, den man nicht sieht. Der andere berichtet mit schwarzem Humor von den Vorteilen seiner Behinderung und behauptet, dass Flughafenrollstühle die Stadt wiederspiegeln, in der man sich gerade befindet. „Da kramen die Sicherheitsbeamten so ein rostiges Kriegsversehrtengestell hervor – mit Bettpfanne unten drauf. Das ist sehr praktisch, weil dann ist der Rollstuhl nicht voll Stuhl.“

Wieser und Stockenreitner reden unter anderem im Kabarett Niedermair über Frisuren, Lichtwecker, Hand-Kaffeemühlen, Sexshops, Scheidungen, Jogger, Alexander van der Bellen und das Kabarett an sich.

Außerdem stellen die beiden Kabarettisten die Frage, ob es in dieser verrückten Welt überhaupt noch Kabarett braucht und ob es bald tot sein wird. Fazit: Wenn es so gemacht wird, wie von Wieser und Stockenreitner – dann ja. Ihre gemächlich vorgetragenen Gedanken, Wortspiele und Dialoge brauchen nicht unbedingt eine Kabarettbühne als Medium. Sie würden sich aber ideal als Podcast eignen – zum Nebenbei-Hören und Schmunzeln.

Lieder für die Late Night

Vorsicht! Berni Wagner & Vinzent Binder spielen ihre „Musikmaschin“-Show in der Late-Night-Schiene des Kabarett Niedermair – und das aus gutem Grund. Denn so einfach die Melodien ihrer Lieder daherkommen, umso böser sind die Texte. Etwa, wenn sie von einer Österreicherin singen, die sich in den falschen Mann verliebt: „Er ist so fesch und er schaut gut aus, ein Gabalier vom Asylantenheim. Grad hab ich noch geschrien: Ausländer raus! Doch jetzt lassat ich gern diesen Asylanten rein. … Hodihodihey…“.

Oder ihr Song über einen restfetten Lifecoach: „An meinem Penis ein Kondom, na wenigstens etwas. Zum Glück hab ich da reingepisst, sonst wär jetzt alles nass. Die Frau ist längst gegangen, vielleicht war es auch ein Mann. Schwul ist es ja nur, wenn man sich daran erinnern kann…“

Miau! Egal, wie schlecht es um die Welt bestellt ist, Binder und Wagner sind davon überzeugt: Niedliche Katzenköpfe machen alles wieder gut.

Zum Lachen auch, wenn die beiden jungen Männer auf der Bühne mit Feminismus bei Frauen punkten wollen – indem sie statt „Vagina“ den umfassenden Begriff „Vulva“ verwenden. Wagner und Binder singen überzeugt: „Viva la Vulga! Dein Körper, der gehört dir. Viva la Vulga! Schläfst du jetzt mit mir?“ Ihr Lieblingscomicheld: Wolverine. Tusch!

Unvergesslich bleiben wohl auch ihre Choreografien und Einlagen: Wenn Wagner Manner-Zitronenwafferl am Tisch zerbröselt und schnupft. Oder, wenn er sich mit einer Glock erschießt und Bühnenpartner Binder den herunterhängenden Kopf auf seine Klaviertastatur hämmert. „Ich treff mit meinem Gesicht mehr richtige Töne am Klavier als mit meinen Fingern auf der Gitarre“, freut sich Wagner. Fazit: Nicht jedes Lied hat Hitpotenzial. Der besonders schräge Liederabend mit viel Nonsense macht aber viel Spaß!

Puntigams Extrawurst-Show

Martin Puntigam feiert mit seinem Programm „Glückskatze“ sein 30-jähriges Bühnenjubiläum. Allerdings ohne seiner Frau. Die lässt sich gerade von ihm scheiden: „Es ist meine erste Scheidung, da sitzen noch nicht alle Handgriffe“. Puntigam blickt zum Jubiläum zurück in seine Kindheit. Damals war es sein größtes Glück, im Supermarkt an der Fleischtheke das Randstück der Extrawurst zu bekommen: „Warum wegschmeißen, wenn man es auch den Kindern geben kann.“

Martin Puntigam liebt es, sein Publikum zu verstören – mit Niveau und Humor

Dann gibt er einen Ausblick in die Zukunft: Stichwort Erderwärmung. Dabei jagt sich der Kabarettist mit einer Spritze publikumswirksam Viren in den Arm. Überhaupt wird viel für Augen und Ohren geboten – vom Doppeldildo über eine Gashupe bis zum Trockeneis-Cocktail. Das ist aber keine plumpe Effekthascherei, sondern hat alles seinen Sinn. Fazit: Jubel bei der Wien-Premiere im Kabarett Niedermair! Der Science-Buster-Moderator liefert mit seinem Jubliäumssolo einen gnadenlosen Kabarettabend mit viel Schauwert, den man nicht vergisst. Garantiert nicht!

Im Kabarett Niedermair wird auch Kindertheater aufgeführt. Da sorgen Puntigams Plakate mitunter für … Verwunderung bei den Eltern.

Schreiners Fakten-Fake-Kabarett

Die Website von Clemens Maria Schreiner ist gehackt worden. Fake-News-Beiträge und ein Deepfake-Video werden veröffentlicht. Doch wer ist der Täter? War es wirklich ein Hack? Und wer profitiert davon? Schreiners achtes Kabarettprogramm trägt den schlagertauglichen Titel „Schwarz auf Weiß“ und geht diesem Rätsel auf die Spur. Doch Schreiner – bekannt aus der TV- Show „Was gibt es Neues?“ – wirft dem Publikum in seinem Solo noch viel mehr Fragen entgegen und zeigt damit, wie anstrengend Nachdenken geworden ist.

„Beim Personaleingang ins Hirn“
Vor allem in einer Zeit, in der eine Flut an Informationen auf uns einprasselt und das geschriebene Wort dazu einlädt, Wissen und Hirnschmalz auszulagern – etwa auf das Smartphone. Eine gefährliche Entwicklung. Das Gehirn unterscheidet nämlich nicht, ob wir etwas lesen oder denken, behauptet Schreiner: „Was wir lesen, geht beim Personaleingang ins Hirn.“ Fazit: Großes Like! Schreiner bietet ein interaktives und höchst schlaues Fakten-Fake-Kabarett. Mit „Schwarz auf Weiß“ tritt er mehr als 80 Mal in acht Bundesländern auf. Es gibt keine Ausrede, es sich nicht anzusehen.

Clemens Maria Schreiner bei

Daumen hoch für Clemens Maria Schreiners neues Programm „Schwarz auf Weiß“. Am Dienstag war Wien-Premiere im legendären Kabarett Niedermair.

Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben

Frauen über 40 sind „esoterisch verwundbar“, sagt Pepi Hopf. Sie kaufen plötzlich aus Alufolie gebastelte Spiralen, um böse Handystrahlen abzufangen. Aber auch Männer sind Hosenscheißer – etwa, wenn sie auf fremde Klos gehen müssen. Oder sie haben Angst vor langen Wörtern. Das nennt man Hippopotomonstrosesquippedaliophobie. „Wer das Wort aussprechen kann, ist auch schon geheilt“, meint Hopf.

pepi-hopf

Pepi Hopf kochte für seine Gäste im Kabarett Niedermair Krautsuppe. Für die „Angstfreien“ gab es Ei-Aufstrich-Brote.

Der 46-jährige Kabarettist nimmt sich in seinem neuen Programm „Der Seelentröster“ dem allgegenwärtigen Thema „Angst“ an. Er sitzt dabei auf einem Barhocker und erzählt scheinbar locker lässig Anekdoten aus seinem Leben, von seiner Familie, aus seinem Heimatdorf. Doch das Programm ist gut durchdacht und behandelt eigentlich das Leben –  und wie man es meistern kann. Denn „Zu Tode gfurchten is a gstorben.“ Im Kabarett zu sitzen ist übrigens ungefährlich. Laut Google-Suche ist noch kaum jemand vor Lachen gestorben. Beim Premieren-Publikum von Pepi Hopf war es aber knapp.

Buchtipp: „BlöZinger – Und davon kann man leben?“ von Florian Kobler – ein humorvolles Taschenbuch über das schrägste Clown- und Kabarettduo Österreichs.