Die vergessene Geschichte des Schloss Losensteinleiten

Das Schloss Losensteinleiten in Oberösterreich war einst eine Massenunterkunft für Flüchtlinge. Ab 1945 wohnten dort Familien, die aus ihrer Heimat Gablonz im Sudetenland vertrieben worden sind – darunter viele Schmuckerzeuger. Fritz Waniek, geboren 1938 in Gablonz, war damals sieben Jahre alt. Er lebte in einer Holzbaracke neben dem Schloss. „Es war meine zweite Heimat. Ich kannte jeden Baum und jeden Strauch.“

Heute erinnert kaum noch etwas an die Nachkriegszeit, das Schloss wird umgebaut – und Fritz Waniek gehört zu den letzten Zeitzeugen. „Hier war alles voll mit Flüchtlingen“, erinnert sich der 86-Jährige bei einem Rundgang im Innenhof. „Auf der linken Seite hat der Fürst Auersperg mit seiner Familie gelebt. Die Gablonzer Genossenschaft war in der Mitte im ersten Stock. Und im rechten Flügel und oben war alles voll mit Vertriebenen.“

Fritz Waniek kennt jede Ecke im Schloss Losensteinleiten.

Holzbaracken im Gruftgarten

In den kleinen Räumen wurden die Betten „irgendwie zusammengeschoben.“ Anfangs gab es weder Öfen zum Heizen noch zum Kochen. Die Gablonzer halfen sich mit einer Gemeinschaftsküche – mit großen Kesseln. Gebadet wurde in Waschtrögen und kleinen Metallbadewannen. „Das Problem war natürlich das warme Wasser. Das musste man am Herd machen.“

Um Geld zu verdienen, versuchten die Vertriebenen – so wie in ihrer Heimat Gablonz – Modeschmuck zu erzeugen. Viele waren gut ausgebildet und konnten mit einfachsten Mitteln Broschen herstellen. Sie schnitten etwa aus weggeworfenen Weißblechdosen der amerikanischen Soldaten kleine Hunde und andere Tiere aus.

Die Vertriebenen wohnten auch bei Bauern in der Umgebung und – wie Fritz Waniek – im Gruftgarten des Schlosses. „Dort standen zwei Holzbaracken der Steyr-Werke. Die hatten während des Kriegs ihre Konstruktionsbüros ausgelagert, weil Steyr so bombardiert worden ist.“ Die Gablonzer stellten noch weitere Baracken auf – als Wohnungen und Werkstätten.

Im Gruftgarten des Schlosses befand sich ein Barackenlager.

„Wenn du in Not bist…“

1947 gründeten sie die Gablonzer Genossenschaft, um gemeinsam Rohmaterial einkaufen und fertigen Schmuck verkaufen zu können. „In vielen Fällen wurde auch versucht, Wohnungen zu besorgen und Staatsbürgerschaften zu erreichen.“ Im Erdgeschoss des Schlosses gab es ein Lager mit einer großen Waage und einem Sammelsurium an Materialien. Da hat man Sachen gesehen, wo man gar nicht gewusst hat, wozu sie zu gebrauchen sind.“ Ein Haufen Gasmasken zum Beispiel. Die Gablonzer zerlegten und verarbeiteten alles zu Schmuck. Waniek: „Wenn du in Not bist, hast du Fantasie.“

Buchempfehlungen:

  • „Die Gablonzer nach 1945 in OÖ mit Schwerpunkt Enns“ – Sachbuch mit allen Fakten zu den Schmuckerzeugern – erhältlich bei Fritz Waniek in Enns.

10 Reaktionen auf das „Inge“-Buch

Im Buch „Inge – Bomben, Schmuck und Strümpfe“ blickt meine 92-jährige Großtante auf ihr Leben zurück. Es ist eine Geschichte über Krieg und Nazis, Tschechen und Russen, über eine riskante Flucht, einen falschen Sohn und einen Neubeginn in Oberösterreich. Es ist die Geschichte einer starken Frau, wie es sie wohl in vielen Familien gegeben hat.

Oft kennen wir nur wenige – die immer gleichen – Anekdoten unserer Vorfahren, selten aber die Hintergründe und Zusammenhänge. Mir ist es nicht anders gegangen, bevor mir Inge – als eine der letzten Zeitzeuginnen – detailliert aus ihrem abenteuerlichen Leben erzählte. Das daraus entstandene Buch ist vielleicht auch eine Einladung, nach spannenden Geschichten in der eigenen Familie zu suchen. Zumindest ist das eine Reaktion mancher Leserinnen und Leser. Sie haben Inges Buch zum Anlass genommen, um selbst einmal nachzufragen. Wie großartig!

Hier ein Best-of der echten Nachrichten von Leserinnen und Lesern:

1) Ich hab „Inge“ meiner Oma zum Geburtstag geschenkt. Sie hatte es in wenigen Tagen ausgelesen. Ich hab es dann natürlich auch gelesen. Es hat mir guten Gesprächsstoff für einen tiefgründigeren Austausch mit meiner Oma über ihre Erfahrungen damals geliefert. Danke dafür.

2) Die ganze Woche hat mich „Inge“ begleitet. Ich bin fasziniert und war teilweise sehr traurig. Unglaublich, was diese Generation mitgemacht hat. Wir können uns glücklich schätzen.

3) Ich weiß nicht, wann ich zuletzt von einem Buch so gefesselt war. Diese Perspektive auf Krieg und Nachkriegszeit war mir bisher völlig fremd, was eigentlich arg ist.

4) Inge und ihre Familie sind mir nahe gegangen. Ich kenne ähnliche Geschichten. Nur leider nicht annähernd so detailliert.

5) Es hat mich richtig gecatcht. Ich musste an manchen Stellen lachen aufgrund des trockenen Humors, habe mitgelitten und geheult. Richtig bewegend. Meine Eltern haben sich das Buch jetzt geschnappt, weil sie so neugierig waren.

6) Es hat mich in vielen Punkten an meine Familie erinnert – an die Erzählungen von Eltern und Geschwistern. (80-jährige Leserin)

7) Obwohl das Thema ernst ist und deine Vorfahren viel Mut und Glück haben mussten, waren sie mit Humor und Lebenskraft gesegnet, was wunderbar rauskommt! Für uns EnnserInnen, die mit den „Gablonzern“ aufgewachsen sind, ist es natürlich doppelt interessant.

8) Das Buch habe ich für eine liebe Freundin und ebenso Vertriebene besorgt – und freilich gelesen. Meine sehr geringen Kenntnisse um diese Zeit mit all ihrer Dramatik (und da ändert sich leider gar nichts) kenne ich aus den Erzählungen…

9) In einem Zug ausgelesen. Schicksale eingebettet in eine schwere Zeit berühren und man ist froh um die Gnade der späten Geburt. Zeitzeugenberichte sind wertvoll. Sie bilden die Geschichte der Betroffenen ab und nicht jene der Herrscher, Feldherren und Politiker.

10) Meine Oma war damals erst neun Jahre alt, als sie geflüchtet sind – in einem Viehwaggon. Das Buch hat sie innerhalb von zwei Tagen ausgelesen. Und sonst schaut sie normal leider immer nur fern – also das heißt was!

Reaktionen auf das Buch „Inge: Bomben, Schmuck und Strümpfe“ (Florian Kobler)

Inge bei Thalia. Inge bei Amazon. Inge gibts in jeder Buchhandlung.

Bomben, Schmuck und Strümpfe: Die Geschichte einer Gablonzerin

Damals war es notwendig. Du hast nicht daran gedacht, dass es dich Kopf und Kragen kosten könnte. Es musste sein, damit du weiterleben kannst. Aber lass‘ mich von vorne erzählen. So, wie ich es in Erinnerung habe.

Inge war meine Großtante. Sie war eine außergewöhnliche, mutige und hilfsbereite Frau. Mit 92 Jahren – wenige Monate vor ihrem Tod – erzählte sie mir in vielen Stunden ihre Lebensgeschichte. Von ihrer Kindheit in Gablonz (Tschechien), der Schmuckindustrie und dem Zweiten Weltkrieg. Von ihrer Zeit beim BDM, von Lazaretteinsätzen, Fliegerangriffen, Partisanen und russischen Besatzern. („Sie schnappen sich wen sie kriegen. Mutter und ich verhalten uns still. Wie kommen wir denn dazu?“)

Mit der Schreibmaschine fasste Inge einst ihr Leben nach dem Krieg zusammen – auf zwei Seiten.

Flucht nach Österreich

Nach Kriegsende wurden die Sudetendeutschen enteignet und ausgesiedelt. Damit ihre Familie flüchten konnte, ging Inge jedes Risiko ein – und gab das Baby ihrer Schwester als ihr eigenes aus. („Er ist erst ein halbes Jahr alt und verlangt nach seiner Mutter. Uns blutet das Herz.“) Der Neubeginn in Oberösterreich war alles andere als einfach. („Der Hunger wühlt im Magen. Ich trinke Wasser, damit er sich ein wenig beruhigt.“) Inge arbeitete beim Bauern, half geflohenen Schmuckerzeugern in Losensteinleiten (Sie stellten kleine Broschen aus weggeworfenen Keksdosen her) – und wurde schließlich eine der ersten Filialleiterinnen bei Palmers.

Familiengeschichte als Buch

Krieg, Flüchtlinge, Hilfe – Inges Geschichte ist aktueller denn je. Nun sind ihre Erinnerungen als Buch unter dem Titel „Inge: Bomben Schmuck und Strümpfe“ im Freya Verlag erschienen.

Florian Kobler

Das Buch kann in jeder regionalen Buchhandlung bestellt werden – aber auch bei Thalia und Amazon.