Anekdoten aus der Palmers-Filiale

„Frau Inge“ – war fast 30 Jahre lang Filialleiterin bei Palmers. Im Buch „Inge: Bomben, Schmuck und Strümpfe“ (Freya Verlag) erzählt sie von den Anfangsjahren in Steyr: „Die Filiale ist noch eine Baustelle. Nicht einmal eine Tür gibt es, nur ein paar Bretter. Würde jemand dagegen rennen, stünde er im Geschäft. Aber Weihnachten steht vor der Tür und wir müssen verkaufen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Kundschaft stürmt unser Geschäft. Wir bieten Socken an, die hart wie Holz sind. Ein hohes Vieh vom Elektrizitätswerk kauft sie mir sofort ab. Jeder ist froh, wieder einkaufen zu können.“

Inge (Mitte) in der Palmers-Filiale in Steyr

Geheime Zeichen

Wenn in der Filiale über hunderttausend Schilling Umsatz gemacht wurden, drehte Inge das Licht kurz ab. So wussten die Verkäuferinnen gleich Bescheid. Vor Weihnachten geschah das alle paar Tage. „Der verwunderten Kundschaft erzählen wir, dass die Stromleitungen überlastet sind. Das Lichtsignal ist ein Ansporn. Jede meiner Damen hat am Tag bis zu sechzig Kundinnen. Die stärksten Arbeitstage sind der Silberne und der Goldene Sonntag, da haben alle Geschäfte offen. Meine Finger verkrampfen sich beim Kurbeln der Kassa und dem Tippen der schweren Knöpfe.“

„Frau Inge“ war von 1955 bis 1982 Filialleiterin bei Palmers in Steyr.

Die Palmers-Entführung

„Der alte Palmers ist entführt worden!“ Am 9. November 1977 herrscht Aufregung in der Filiale. Drei Maskierte haben den Herrn Walter am Abend vor seiner Wiener Villa in ein Auto gezerrt. Die „Entführung des Strumpfkönigs“ macht Schlagzeilen. Der Sohn ist mit einem Koffer voll Lösegeld losgefahren – 31 Millionen Schilling in Scheinen. Der Polizei hat er nichts gesagt. Die Entführer haben ihn übers Telefon wild durch die Gegend geschickt, das Geld genommen und den alten Palmers freigelassen. Hundert Stunden ist er in einem Verschlag eingesperrt gewesen. Zumindest haben die Entführer seine Medikamente besorgt – die braucht er mit seinen 74 Jahren. Nach seiner Freilassung hat er sich als Erstes bei seiner Frau entschuldigt, dass er zu spät zum Abendessen gekommen ist.

Inge erinnert sich: „Wenige Tage später steht er wieder bei mir im Geschäft. Kurz vor Weihnachten muss alles picobello sein. Nur seine Hand dürfen wir nicht mehr schütteln. Die Entführer haben ihn in eine Matratze oder einen Teppich gewickelt und so aus dem Auto getragen, erklärt er. Der raue Stoff hat die dünne Haut seiner rechten Hand aufgerieben.“

Buchtipp: Inge – Bomben, Schmuck und StrümpfeInge erlebt den Zweiten Weltkrieg in Gablonz – als junge Österreicherin zwischen Sudetendeutschen und Nazis, Tschechen und Russen. Damit ihre Familie flüchten kann, geht sie jedes Risiko ein. Blick ins Buch.

Bomben, Schmuck und Strümpfe: Die Geschichte einer Gablonzerin

Damals war es notwendig. Du hast nicht daran gedacht, dass es dich Kopf und Kragen kosten könnte. Es musste sein, damit du weiterleben kannst. Aber lass‘ mich von vorne erzählen. So, wie ich es in Erinnerung habe.

Inge war meine Großtante. Sie war eine außergewöhnliche, mutige und hilfsbereite Frau. Mit 92 Jahren – wenige Monate vor ihrem Tod – erzählte sie mir in vielen Stunden ihre Lebensgeschichte. Von ihrer Kindheit in Gablonz (Tschechien), der Schmuckindustrie und dem Zweiten Weltkrieg. Von ihrer Zeit beim BDM, von Lazaretteinsätzen, Fliegerangriffen, Partisanen und russischen Besatzern. („Sie schnappen sich wen sie kriegen. Mutter und ich verhalten uns still. Wie kommen wir denn dazu?“)

Mit der Schreibmaschine fasste Inge einst ihr Leben nach dem Krieg zusammen – auf zwei Seiten.

Flucht nach Österreich

Nach Kriegsende wurden die Sudetendeutschen enteignet und ausgesiedelt. Damit ihre Familie flüchten konnte, ging Inge jedes Risiko ein – und gab das Baby ihrer Schwester als ihr eigenes aus. („Er ist erst ein halbes Jahr alt und verlangt nach seiner Mutter. Uns blutet das Herz.“) Der Neubeginn in Oberösterreich war alles andere als einfach. („Der Hunger wühlt im Magen. Ich trinke Wasser, damit er sich ein wenig beruhigt.“) Inge arbeitete beim Bauern, half geflohenen Schmuckerzeugern in Losensteinleiten (Sie stellten kleine Broschen aus weggeworfenen Keksdosen her) – und wurde schließlich eine der ersten Filialleiterinnen bei Palmers.

Familiengeschichte als Buch

Krieg, Flüchtlinge, Hilfe – Inges Geschichte ist aktueller denn je. Nun sind ihre Erinnerungen als Buch unter dem Titel „Inge: Bomben Schmuck und Strümpfe“ im Freya Verlag erschienen.

Florian Kobler

Das Buch kann in jeder regionalen Buchhandlung bestellt werden – aber auch bei Thalia und Amazon.