Ukraine und Iran: Street-Art für die Freiheit

Neue Kunstwerke in Wien bilden das aktuelle Weltgeschehen ab: Der ukrainische Street-Art-Künstler Nikita Kravtsov etwa hat in der Pfeilgasse eine weinende Frau auf eine Hausmauer gemalt. Das riesige Wandbild über dem „Wiener Würstelstand“ erinnert an Gustav Klimts Frauenporträts und ist Teil des europaweiten Kunstprojekts „The Wall“. Ziel ist es, die Ukraine in Wien – wo es eine hohe russische Präsenz gibt – sichtbarer zu machen. Auch in Berlin, Genf, Marseille und Ankara sollen solche Murals entstehen.

„The Wall“ in Wien: Freiheit, Einheit und Hoffnung

Street-Art beschäftigt sich auch am Bauzaun des Wien Museums mit den Krisen unserer Zeit. Die Künstlerin Artminina aus Odessa setzt sich mit mit einem blau-gelben Paperflieger für Frieden in der Ukraine ein und Künstlerin Ahoo Maher thematisiert die Freiheitsproteste gegen das Regime im Iran.

Illustratorin Artminina hofft auf Frieden in der Ukraine
Abgeschnittene Haare: Ahoo Maher macht die Freiheitsproteste der Frauen im Iran sichtbarer

Klebende Kunst: Hände aus Münzen

Es ist ein starkes Zeichen des Zusammenhalts – die Skulptur „Raising Hands“ von Julia Bugram am Wiener Stephansplatz. Zu sehen sind zwei einander reichende Hände, die aus einer Million zusammengeklebter 1-Cent-Münzen bestehen. Das Kunstwerk soll Hoffnung auf solidarisches Handeln machen. In Zeiten von Krisen und Krieg ist das wichtiger denn je. Seit April sind die – allein aufgrund der Münzen mehrere Tonnen schweren – Hände öffentlich ausgestellt – und haben kaum an Gewicht verloren. Auch der Klebstoff des Kunstwerks steht offensichtlich für Zusammenhalt.

Die „Raising Hands“ wurden unter anderem über Crowdfunding finanziert.
Über 3.800 Menschen sollen sich am Bekleben der Münzen beteiligt haben.

Chrissi Buchmasser: Lustiger als jeder Zipfel

Fast hätte es Jungmama Chrissi Buchmasser nicht zu ihrer eigenen Kabarett-Premiere ins Niedermair nach Wien geschafft. „Ich kann den armen Scheißer ja nicht allein zuhause lassen – mit unserem Baby!“ Also muss der Tontechniker während der Vorstellung den Babysitter spielen.

„Braves Kind“ nennt die 33-jährige Grazerin ihr Debütprogramm. Dabei erzählt sie schonungslos die Wahrheit übers Kinderkriegen und die Folgen – für Mütter. Mit Gitarre in der Hand stellt Buchmasser die richtigen Fragen: „Wenn in Bilderbüchern nur Vater und Kind vorkommen – warum denke ich dann automatisch, dass die Mutter tot sein muss? Warum heißt es Frauenfußball und nicht Fußball? Warum sind im Fernsehen beim Kabarettgipfel noch immer fast nur Zipfel zu sehen?“

Fazit: Ab sofort sollte für werdende Eltern neben dem Geburtsvorbereitungskurs eine Vorstellung von „Braves Kind“ verpflichtend sein. Sie werden Humor dringend brauchen. Auch allen anderen sei das Programm empfohlen. Chrissi Buchmasser schafft es, das körperlich, gesellschaftlich und politisch heikle Thema Kinder authentisch, sympathisch und lustig auf die Bühne zu bringen. „Werdet jetzt Fan, bevor ich Mainstream bin.“

Chrissi Buchmasser liebt ihren einjährigen „Christus“ – und singt ihm Kinderlieder im Stil von Pizzera & Jaus, Bilderbuch, Wanda und Helene Fischer vor.

Albertina zeigt Revolver für den Frieden

Ein Revolver als Friedensbotschafter? Das funktioniert wohl nur, wenn die Waffe in einem Käfig eingesperrt ist. Der kroatische Konzeptkünstler Vladimir Dodig Trokut verwirklichte diese Idee einst mit einer rund drei Meter hohen Skulptur mit dem Titel „Imagine“ – in Anlehnung an den berühmten John-Lennon-Hit. Das Kunstwerk ist als Statement gegen Waffenbesitz, Gewalt und Krieg gedacht. Seit Juli ist es am Dach der Albertina in Wien zu sehen. „Imagine all the people, livin‘ life in peace…“.

Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder über den Revolver: Gewalt muss „begrenzt werden“.

Riesiges Weinfass unter der Hofburg

Im Keller der Wiener Hofburg werden Schätze gelagert, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Unter der Präsidentschaftskanzlei etwa befindet sich ein riesiges gemauertes Weinfass. Es hat ein Fassungsvermögen von 731,5 Hektolitern und diente einst der Lagerung von Weißwein für die Hofbediensteten.

Zementfass mit Glaskeramik im ehemaligen Hofweinkeller.

Wenige Meter weiter bewahrt die Burghauptmannschaft rund 2.000 beeindruckende Gipsmodelle auf – von Fassadenelementen, Schlusssteinen und Denkmälern, die an der Ringstraße stehen. Muss eine Statue saniert werden, kann das Originalmodell des Künstlers aus dieser Sammlung herangezogen werden.

Ein abgelehnter Entwurf des Denkmals von Kaiserin Elisabeth im Volksgarten.

Der Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber

Von der Kreuzfahrtschiff-Bar „Alk-Aida“, wo sich schon einige „weggesprengt“ haben, bis zur „Ofen-Paarung des Johannes“: Benedikt Mitmannsgruber setzt auch in seinem zweiten Kabarettprogramm „Der seltsame Fall des Benedikt Mitmannsgruber“ (Regie: Petra Dobetsberger) stark auf Wortwitze. Natürlich sind auch sein Schnauzer, der Norweger-Pullover und – leider – die Powerpoint-Präsentation wieder mit dabei.

Mitmannsgruber spielt den gleichnamigen Antihelden aus dem Mühlviertel, der nicht erwachsen werden will. („Meine Mama hat die Unterhose gewaschen, ich bin erst 26 Jahre alt“). Er berichtet von seinem Heimatort, in dem es einen „klassischen Rassisten-Überschuss“, aber keine Ausländer gibt („Sehr viel Nachfrage, kein Angebot.“), von folgenreichen Fehlern ärztlicher Ferndiagnosen und öffnet dem Publikum mit Verschwörungstheorien die Augen. „Wacht auf!“ Top: Selbst in Coronazeiten kann nur empfohlen werden, sich in sein „ungetestetes“ Programm zu wagen, auch wenn er selbst „noch nicht lange am Markt ist“. Der Tagespresse-Autor bringt böse Pointen und Wortwitze im Zwei-Satz-Rhythmus. Ein Höhenflug des Benedikt Mitmannsgruber!

Benedikt Mitmannsgruber bei seiner Wien-Premiere im Kabarett Niedermair: „Wie nennt man im Mühlviertel Veganer? – Trottel.“

Das Ende von „Hollywood in Vienna“?

Schockmoment bei der heurigen Hollywood in Vienna-Gala. Organisatorin Sandra Tomek ging auf die Bühne und verkündete, dass es aktuell ungewiss sei, ob die Filmmusik-Gala auch in Zukunft stattfinden könne. Danach bedankte sie sich bei ihrem Produktionsteam und bat es auf die Bühne. Der Hilferuf vor Galagästen, Sponsoren und Stadt kam nach Corona und anderen Krisen wenig überraschend. Hollywood in Vienna ist ein Klassik-Großevent, das es irgendwie zu finanzieren gilt.

Schon in den vergangenen Jahren gingen die Ticketpreise nach oben, die inoffizielle Generalprobe am Vortag wurde als Konzert verkauft, die weltweite Fernsehverwertung wurde wichtiger und dadurch der Showanteil der Gala größer. (Heuer mit tanzenden Nonnen, jodelnden Cowboys und Sologesang mit schönen Kleidern bei fast jeder Nummer.) Zudem setzte der Filmpreis auf große Namen wie Hans Zimmer und heuer die Disney-Legende Alan Menken. Frauen wurden bisher nicht ausgezeichnet.

Top: Hollywood in Vienna ist nach wie vor bei weitem das beste Filmmusik-Konzert, das es hierzulande zu erleben gibt. Das liegt an der wunderbaren Akustik des Konzerthauses, an der Qualität des ORF Radio-Symphonieorchesters, an den Solistinnen und Solisten, den Visuals und Lichtstimmungen – und an der großartigen Organisation von Sandra Tomek und ihrem Team. Möge es weitergehen! Es wäre unendlich schade um dieses Konzert.

Heuer wurde Alan Menken bei Hollywood in Vienna im Wiener Konzerthaus mit dem Max Steiner Film Music Achievement Award ausgezeichnet

TV-Tipp: ORF III strahlt das heurige Konzert in Erlebnis Bühne am 9. Oktober 2022 aus.

Fantasie-Tunnel von Frau Isa

Große Kunst statt graue Unterführungen: Die Street-Art-Künstlerin Frau Isa hat mit der Spraydose zwei lange Unterführungen neben der U1-Station Kaisermühlen verschönert. Sie möchte damit Fußgängerinnen und Radfahrer aus dem Alltag reißen: „Ich probiere eine Fantasiewelt darzustellen, mit Sachen, die Kinder kennen. Es sind viele einzelne Elemente, wo sich jeder eine Geschichte ausdenken kann.“ Die Reaktionen sind meist positiv. Viele freuen sich über die farbenfrohen Bilder und hoffen, dass sie nicht sofort wieder verschandelt werden. Aber ganz ohne Wiener Grant geht es auch nicht: Eine Passantin etwa beschwerte sich bei Frau Isa über das Sprayen im Tunnel. „Sie tragen ja eine Maske – aber wir müssen die giftigen Gase einatmen!“

Frau Isa zeichnet gerne starke Frauen mit fröhlichen Farben
Eine Fantasiewelt mit Alltagsobjekten, die auch Kindern Freude bereiten soll

Sophia Blenda: Traurig schöne Lieder

Sie gehört zu den aktuell spannendsten Stimmen der heimischen Popszene: die Wiener Sängerin Sophia Blenda. Bisher als Frontfrau der Band Culk bekannt, präsentierte sie nun ihr erstes Soloalbum „Die neue Heiterkeit“ im Volkstheater. Ihre Lieder sind allerdings alles andere als heiter, sondern eher Gedichte mit schweren Themen: Sophia Blenda singt über Unterschiede und Hürden, sexuelle Gewalt, das „politische Kleidungsstück“ BH, aber auch über das Händereichen innerhalb der Familie und das Überwinden von Ängsten. Fazit: Sophie Blenda ist eine Poetin mit unglaublicher Stimme und traurig-schönen Liedern. Anhören!

Poetische Texte mit dunkler Klaviermusik: Sophia Blenda in der Roten Bar des Volkstheaters

Rassismus, Kunst und Kommerz: Basquiat in der Albertina

Wer war Jean-Michel Basquiat? Er gilt als erster schwarzer Künstler mit Weltruhm, machte sich zuerst in der New Yorker Graffiti-Szene einen Namen, zeichnete in den 1980ern gegen Rassismus und Polizeigewalt, war mit Andy Warhol befreundet und starb mit 27 Jahren an einer Überdosis Drogen. Selbst als Superstar der Kunstszene hatte er Probleme, nach Partys ein Taxi zu bekommen, wurde von Ladendetektiven verfolgt und von der Flughafenpolizei verhört – aufgrund seiner Hautfarbe. Basquiats Themen sind leider nach wie vor aktuell. (Black Lives Matter...)

Die Albertina widmet Basquiat bis 8. Jänner eine Retrospektive – mit 50 Werken und einem Film. Vor allem beim jüngeren Publikum scheint die Schau – zurecht – ein Riesenerfolg zu werden. Spannend: Der Albertina-Shop verkauft neben den üblichen Katalogen, Ansichtskarten und Postern auch Basquiat-T-Shirts (100 Euro), Socken, Sammelfiguren und Geschirr. Teure Fanprodukte, aber natürlich günstiger als Originale. Vor fünf Jahren wurde ein Basquiat-Bild mit Totenkopf-Gesicht um knapp 100 Millionen Euro versteigert.

Selbstporträt von Basquiat in der sehr gut besuchten Albertina-Schau.